Kommerzielle CMS-Lösungen: Dr. Michael Salzmann vs. Roger Stupf


Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2003/03

     

Die Verwaltung von Content auf Websites wird mit anschwellendem Informationsfluss immer komplexer und unübersichtlicher. Content Management Systeme (CMS) lenken die Dokumentenflut in kontrollierte Bahnen. Doch der Markt dieser Dokumentenzügler ist unübersichtlich. Und jetzt sorgen zahlreiche Open-Source-Projekte noch für zusätzliche Verunsicherung unter den Anwendern, so dass sich mancher Website-Verantwortliche unterdessen fragt: Was spricht überhaupt noch für den Einsatz von kommerziellen CMS-Produkten? Sicher nicht die horrenden Lizenzkosten! Roger Stupf und Michael Salzmann haben eine differenzierte Antwort darauf.


Die Preisfrage

Pro: Bei der Beschaffung eines kommerziellen Produkts fällt der Hauptteil der Kosten nicht für die Lizenzierung, sondern für die Implementierung des CMS in die bestehende IT-Umgebung an. Diese Implementierung ist auch bei Open-Source-Produkten notwendig. Zudem sind die Lizenzkosten für kommerzielle Content-Management-Systeme nicht mehr so hoch wie noch vor zwei Jahren.




Kontra: Es ist klar: Bei einem Open Source CMS (OSCMS) fallen die teilweise hohen Lizenzkosten weg. Trotzdem muss man sich bewusst sein, dass auch bei einer OSCMS-Lösung viel Geld für Migration, Customizing und Systemintegration investiert werden muss. Deshalb spielen die Lizenzkosten für die Berechnung der TCO nicht mehr eine prioritäre Rolle. Entscheidend aber ist, dass beim Open-Source-Ansatz die Lizenzfrage unmissverständlich klar ist. Ein kommerzieller Anbieter dagegen kann jederzeit und ohne Rücksprache die Lizenzpolitik ändern. Das macht den Einsatz eines kommerziellen CMS-Systems unberechenbar.


Die Supportfrage

Pro: Viele Hersteller von kommerziellen CMS-Lösungen arbeiten mit einem Netzwerk von Implementierungs-Partnern zusammen. Diese sind wirtschaftlich meistens stabiler und verfügen mittlerweile über das notwendige Produkt-Know-how, um den entsprechenden Support gewährleisten zu können. Der CMS-Markt wird sich weiter konsolidieren, aber einige Produkte sind global so weit verbreitet, dass sich zwangsläufig Auffanggesellschaften bilden werden, sollte der Hersteller vom Markt verschwinden.




Kontra: Beim Entscheid der Universität Zürich, ein OSCMS-System einzuführen, war wichtig, dass wir den Support von nicht nur einer, sondern mehreren "kommerziellen" Firmen beziehen können. Zudem ist es uns wichtig, dass wir auch bei uns Support-Kompetenz aufbauen können. Gerade für den First Level Support wollen wir auf interne Ressourcen zurückgreifen können. Dies erlaubt uns auch, die Lösung selbständig weiterzuentwickeln. Es versteht sich von selbst, dass wir solche Weiterentwicklungen an die OS-Community zurückgeben.


Die Entwicklungsfrage

Pro: Üblicherweise werden Content Management Systeme von einer Partnerfirma implementiert, die mit Unterstützung des Herstellers auch die individuellen Anpassungen für die Einbindung in die bestehende IT-Umgebung vornimmt und Sonderwünsche programmiert. Deshalb ist die Wahl der Implementierungsfirma mindestens so wichtig wie die Wahl des CMS: Sie muss das CMS selbst sehr gut kennen und bei der Implementierung weitgehend auf den Hersteller-Support verzichten können. Die Weiterentwicklung des Produkts selbst ist natürlich abhängig vom Hersteller und dürfte bei dessen Niedergang problematisch werden.




Kontra: Das Schöne an einer OSCMS-Lösung ist, dass uns bei der Weiterentwicklung der CMS-Lösung verschiedene Möglichkeiten offenstehen. Erstens: Durch den Zugang zum Code sind wir in der Lage, die Lösung selbständig auszubauen. Unsere Weiterentwicklungswünsche können wir zweitens in die Entwickler-Community einbringen. Deshalb haben wir natürlich ein Interesse daran, dass diese Community möglichst gross ist. Wobei hier relativiert werden muss: Auch bei einem kommerziellen CMS-Anbieter kann man die Zahl der Kernentwickler an einer Hand abzählen. Und schliesslich steht uns als dritte Option auch das Engagement einer Supportfirma offen, der wir einen Entwicklungsauftrag erteilen können. Bei einem kommerziellen Anbieter gibt es diese Vielfalt nicht. Dies birgt Gefahren: Macht mein Anbieter den Schirm zu, ist das Software-Projekt meist auch gestorben.


Die Standardfrage

Pro: Wenn ich die IT-Landschaft bei uns so mehr oder weniger überblicke, finde ich über den Daumen gepeilt ungefähr 95 Prozent kommerzielle Produkte. Für mich ist demnach wichtig, dass das CMS möglichst viele Standardschnittstellen zu diesen Produkten hat. Ob das CMS selbst ein proprietäres System ist oder nicht, interessiert mich nur sekundär.



Kontra: Kommerzielle Anbieter haben einen Hang zu proprietären Lösungen. Bei OSCMS ist das genau umgekehrt: Die meisten Lösungen halten sich an anerkannte, offene Standards. Ausserdem sind OSCMS-Lösungen oft auf mehreren Plattformen lauffähig. Die Universität Zürich verfügt systembedingt über eine sehr heterogene IT-Landschaft, sowohl Server- als auch Client-seitig. Für uns ist es beispielsweise ein Muss, dass der Content auf PCs und auf Macs verwaltet werden kann.


Die Investitionsfrage

Pro: Um die Informationsflut bewältigen zu können und einigermassen klare Web-Prozesse zu gewährleisten, ist der Einsatz einer CMS-Lösung in einem grossen Betrieb mit mehreren zehntausend Mitarbeitenden heute ein Muss. Wenn ich sehe, wie viel einfacher der Aufbau, die Administration und der Ausbau von Websites mit einem CMS sind, hat sich die Investition bereits jetzt gelohnt. CMS-Lösungen mögen Produkte des E-Business-Booms oder meinetwegen gar von New Economy sein. Sie sind aber meines Erachtens der Beweis dafür, dass kreative junge Unternehmer in dieser Zeit auch Systeme entwickelt haben, die bereits heute einen unglaublichen Mehrwert darstellen.




Kontra: Der Content steht bei uns ganz klar im Vordergrund. Es liegt deshalb auf der Hand, dass wir dort unsere grössten Investitionen tätigen. Das erklärt, weshalb wir uns für eine Open-Source-Lösung entschieden haben: Wir wollen uns nicht an ein einziges CMS-System binden, sondern uns die Freiheit nehmen, in Zukunft das CMS-Produkt einfach auszuwechseln. Dem Content als unserem Asset muss ein solcher Wechsel egal sein. Ausserdem können wir uns auch vorstellen, mehrere CMS nebeneinander einzusetzen. Deshalb setzen wir auf Standards wie XML und eine modulare Architektur der Webinfrastruktur. Der Anwender eines kommerziellen Produkts dagegen denkt ganz anders: Er investiert nicht nur in Content, sondern auch in ein Produkt, an das er sich möglichst lange binden will.

Die Kontrahenten

Pro: Dr. Michael Salzmann ist Projektleiter e-Government der Staatskanzlei des Kantons Zürich

CMS-Plattform: DAY Communiqué 3.0

Technische Infrastruktur: Windows 2000

Umfang: Das CMS ist die Grundlage des neuen Intranet der Verwaltung des Kantons Zürich. Zudem wurden bisher vier Internet-Auftritte von verschiedenen Verwaltungseinheiten aufgebaut und weitere rund zehn Websites sind momentan im Bau.






Kontra: Roger Stupf ist Leiter E-Communication an der Universität Zürich

CMS-Plattform: Wyona CMS

Technische Infrastruktur: Server: Debian Linux, Clients: Windows, Mac OS X, Linux

Umfang: Die Universität Zürich verwendet für ihre News-Plattform "unipublic" bereits das OSCMS "wyona CMS", welches auf Coccoon2/Java basiert. Für die Corporate Website läuft zurzeit ein Submissionverfahren.




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