Die Kraft der Collaboration
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Die Kraft der Collaboration

Die Coronakrise hat der Collaboration mittels IT aus dem Home Office heraus Auftrieb verliehen. Neu verteilte Kommunikations­prozesse stärken die Resilienzen von Firmen, und fünf Trends helfen dabei.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2020/05

     

7:00 Uhr. Die Smartwatch vibriert. «Hey Boss, was liegt an?» Die Stimme klingt noch etwas matt, den virtuellen Assistenten kümmert es nicht, und er präsentiert auf der Smartwatch die anstehenden Meetings. Der Mitarbeiter rollt sich aus dem Bett und begibt sich in Richtung Kaffeemaschine. Langsam wird er wach. «Zeig mir das Protokoll der letzten Sitzung!» – sofort erscheint auf dem Smartphone ein Transkript der Sitzung mit den Entscheiden, die am Nachmittag überprüft werden sollen.


Wenn wir in einigen Monaten oder Jahren auf die bangen Wochen zu Beginn des Jahres 2020 zurückblicken werden, kommen sie uns vielleicht wie ein böser Traum vor. Vielleicht sind wir dann längst wieder im Büro mit unseren Kollegen; wahrscheinlicher ist jedoch ein anderes Szenario – verteiltes Arbeiten und digitale Zusammenarbeit stärken als gleichberechtigte Arbeitsform mit dem klassischen Büro das Immunsystem von Unternehmen gegen die nächste Krise. Trends wie Künstliche Intelligenz und Machine Learning treiben die Entwicklung voran.

Von Null auf Home Office

Heimarbeit ist keine neue Erfindung, vor allem in der Textilwirtschaft war sie bis ins 20. Jahrhundert hinein eine wichtige Einnahmenquelle für Familien. Home Office ist eine neuere Entwicklung, eng verbunden mit jener der Informations- und Kommunikationstechnologien. Entsprechend gehörten die Grossen der Branche seit den 90er Jahren zu den Pionieren dieser Arbeitsform; sie sind es jetzt, die in Zeiten der Krise der Wirtschaft beim Wechsel von Null auf Home Office und auch danach bei der Bewältigung der Folgen beistehen können. Dies ist zum Teil eine technische Herausforderung, verbunden mit der Absicherung des erweiterten Firmenperimeters ins Home Office hinein. Es ist aber auch eine Frage der organisationellen und kommunikativen Prozesse.


Vor Covid-19 haben viele Unternehmen nur zaghaft oder gar nicht aufs verteilte Arbeiten gesetzt. Studien und auch die Erfahrung des Autors zeigen: Meist werden dabei nicht technische Argumente ins Feld geführt, sondern Fragen der Kontrolle, eines erforderlichen neuen Mindsets für das Management und Ängste vor einem Ungleichgewicht der Work-Life-Balance, wenn man auch am Abend oder am Wochenende arbeitet.

Mehr als ein Trend

Heute geht es beim Home Office um mehr als nur die Arbeit von einem externen Büro aus: Herzstück und Schaltzentrale sind digitalisierte Kommunikations- und Zusammenarbeitsprozesse – viele Branchen und fast jede Anwendung lassen sich so aus dem physischen Raum in den digitalen transferieren, nebst dem Büro-Schreibtisch auch die Bankfiliale, das Klassenzimmer oder die Arztpraxis. Den Sprung ins kalte Wasser haben viele Unternehmen nun gemacht, das zeigen die exponentiell und parallel zur globalen Pandemie steigenden Nutzerzahlen, etwa von Cisco Webex: So verzeichnete der für bis zu 100 Teilnehmende kostenlose Dienst im März über 14 Milliarden Meeting-Minuten mit 24 Mal mehr Traffic zu Spitzenzeiten als normalerweise. Anstelle von gewöhnlich knapp 40 Milliarden Events im Telemetrie-System fielen Ende März fast 300 Milliarden an.


Dass die Umstellung aus technischer Sicht bei fast allen Anbietern von Collaboration-Lösungen gelungen ist, zeigt den Reifegrad digitaler Kommunikation. Doch das ist nur der Anfang einer ganz neuen Entwicklung, an deren Ende die verteilte Arbeit Unternehmen und ihre Prozesse durchdringen wird, um diese widerstandsfähiger gegen jede Art von Krise zu machen.

Sicherheit unabdingbar

Widerstandsfähigkeit bedingt ein grosses Sicherheitsbewusstsein. Eine Videokonferenz aufzusetzen und durchzuführen ist kein Spass, sondern wesentliches Element einer resilienten und auf effiziente Prozesse getrimmten Organisation. Dazu bedarf es einiger Sicherheitsvorkehrungen, die das Geschäft schützen und die Teams voranbringen. Wie in anderen IT-Bereichen müssen die Sinne der Mitarbeitenden für Attacken aus dem Cyberraum geschärft, die Netzwerke auf künftige neue Bedrohungen ausgerichtet werden – immer mehr Geschäftsinhalte werden in virtuellen Meetingräumen ausgebreitet und damit auch in Home Offices. Neue Angriffsflächen somit, die gesichert werden müssen. Die Mindestanforderungen hier sind der Schutz durch ein Single Sign-On (SSO) der Organisation und durch Multifaktor-Authentifizierung, also einer zweiten Sicherheitsschicht etwa mit dem Smartphone. Zusätzlich gilt es, den Anbieter einer Lösung in Sachen Datenschutz und Sicherheit in die Pflicht zu nehmen: Konferenzen müssen verschlüsselt sein und es sollen auch keine Benutzerdaten an Dritte weitergegeben werden.

Smarte Unternehmen

Was kommt nach der Krise? Das fragen sich zur Zeit viele Unternehmen. Ihre unerwartet rasche Digitalisierung könnte dazu führen, dass Organisationen – private Unternehmen aber auch öffentliche Dienste und Regierungen – künftig intelligenter und zielgerichteter mit ihren physischen Ressourcen umgehen, natürliche Mauern einreissen und ihre Teams nicht nach räumlicher Anordnung, sondern nach Kompetenz zusammenstellen. Es braucht ein neues Mindset, was Präsenz angeht: Sie soll Projekte antreiben statt behindern, Teams stärken und den Spassfaktor erhöhen, der sich in den virtuellen Meetingraum verlängert. Für die nahe Zukunft sind fünf starke Trends wichtig:

1. Hybride Arbeitsräume: Seit längerem ist die Flexibilisierung und Umgestaltung von Grossraumbüros zu veritablen Coworking-Arbeitsräumen im Gang. Kleine Sitzungsräume mit Whiteboards und Kameras erlauben Ad-hoc-Konferenzen verteilter Teams. Mit Hilfe von Technologie können sich Sitzungsteilnehmer leicht an Präsentationen beteiligen. Der persönliche Arbeitsplatz – ein Relikt vergangener Bürotage.


2. Interoperabilität: Lock-in-Software enthält versteckte Kosten und erhöht den Administrationsaufwand enorm. Einige Hersteller bieten Standardprotokolle und vielseitige Integrationen an, die es ermöglichen, Kommunikationsprozesse mit Lösungen anderer Hersteller durchgängig zu integrieren.

3. Distributed Workforce: Die Generation Z, die ersten Jahrgänge, die komplett digital aufwachsen, ist individualistisch und unternehmerisch. Arbeit aus der Selfie-Perspektive: Mit den Z werden Freelancing und das Vermieten von Know-how Teil jeder Projektkultur. Das heisst: Teams werden zunehmend nicht nur mit Menschen aus dem eigenen Unternehmen zusammengesetzt.

4. Intelligenz und Visualisierung: Bereits stehen die ersten KI-geführten Collaboration-Systeme im Einsatz; sie sparen Nutzern viel Zeit bei der Vorbereitung von Meetings und machen Routineaufgaben obsolet. So stellen sie die Teilnehmerliste zusammen, prüfen die Anwesenheit, blenden Informationen über den Sprechenden ein, filtern störende Geräusche heraus, erstellen durchsuchbare Mitschriften mit den Namen der Teilnehmer, erstellen automatisch To-Do-Listen – alles mit Sprachbefehlen gesteuert. Die Meetingteilnehmer können sich ganz auf den Inhalt konzentrieren und delegieren die Formalitäten an die KI. Im Contact Center sind Künstliche Intelligenzen erstmals in der Lage, einfache Arbeiten selbst auszführen, etwa den richtigen Gesprächspartner zu vermitteln. Augmented Reality ist eine zusätzliche Komponente, die Collaboration auf die Spitze treibt: Die Überlagerung der Realität durch digitale Visualisierungen lässt Powerpoint ganz schön alt aussehen.

5. Natural Communication: In Unternehmen erhält der persönliche Kontakt eine neue Funktion. Die Kultur der permanenten rituellen Sitzung wandelt sich zu einer Kultur des permanenten Austauschs. Mit zunehmender Digitalisierung und verteilter Kommunikation steigert sich die Effizienz der Meetings, während der persönliche Kontakt die Eigenmotivation fördert, den Zusammenhalt im Unternehmen stärkt und der strategische Boden für die Innovationen von morgen bereitet wird.

Fazit: Chance nicht verpassen

Die Neuordnung der kommunikativen Prozesse im Unternehmen verfolgt zwei wesentliche Ziele: die Resilienz des Geschäftsmodells zu stärken, aber auch neue innovative Kräfte im Unternehmen zu wecken, die durch anders zusammengestellte, agile Teams entstehen, die nicht mehr in einem Raum oder auf einer Etage arbeiten müssen, um erfolgreich zu sein. Ziele statt Präsenz stehen im Mittelpunkt. Das macht die Führung anspruchsvoller, eröffnet Unternehmen neue Chancen. Darum sollte die Umstellung auf verteilte Arbeit nicht bloss als technische Aufgabe gesehen werden; unabdingbar ist das Commitment der Führung.

Zwar hat der abrupte Strategiewechsel in vielen Unternehmen das Bewusstsein geschärft, dass verteiltes Arbeiten durchaus möglich ist. Dennoch werden sich Firmenstrukturen deswegen nicht auflösen. Die digitale Collaboration stiftet nicht überall denselben Nutzen, oft sind es gerade die persönlichen Treffen, die am Anfang eines erfolgreichen Projektes stehen. Das Auge-in-Auge-Prinzip sorgt für Loyalität und schafft Verbindlichkeiten über virtuelle Meetings hinweg.


Smart Working mit smarten Tools erlaubt das Optimieren der Abläufe im Unternehmen. Die technischen Entwicklungen bieten eine Chance, mit einer klugen Collaboration-Strategie die Effizienz zu steigern, Fixkosten zu senken und die Innovationskraft zu stärken. Denn der «Boss», das sind auch in Zukunft motivierte Mitarbeitende, die für ihre Firma und ihre Ziele Stricke zerreissen. «Hey Boss, was liegt an?» Die Zukunft, aber weniger von deiner Präsenz abhängig.

Der Autor


Niema Nazemi ist Head of Applications-Platforms & Cloud Collaboration Solutions bei Cisco Schweiz. Sein Team und er decken das gesamte Collaboration-Portfolio von Cisco ab. Nazemi kam 2006 nach einem 10-jährigen USA-Aufenthalt zu Cisco.


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