Leistung kommt vor Alter
Quelle: SITM

Leistung kommt vor Alter


Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2014/10

     

Vor einem Monat durfte ich einen neuen Fachredakteur für dieses Magazin suchen. Ein potentieller Bewerber meldete sich mit der Anfrage, dass er zwar grosses Interesse an der Stelle habe, allerdings «bereits 42 Jahre alt» sei. Ob er sich trotzdem noch bewerben dürfe? 42 Jahre! Der Mann muss noch die nächsten 25 Jahre arbeiten. Niemand in unserem Verlag ist schon 25 Jahre für uns tätig. Ich war erstaunt.
Ich selbst bin 37 Jahre alt. Ich arbeite seit 14 Jahren für dieses Magazin. Ich müsste eigentlich schon lange mal die Stelle wechseln, würden mir der Job und vor allem das Umfeld, in dem ich arbeite, nicht so verdammt viel Spass machen. Das habe ich vor einigen Wochen einem meiner Berufskollegen erzählt. Das stimme schon, meinte der. «Aber meinsch du findsch überhaupt no en Job – weisch, i dim Alter?» Nochmals: Ich bin 37 Jahre alt. Ich war irritiert. Und gleichzeitig war mir klar, dass sein Einwand so abwegig gar nicht war.

Der Schweiz fehlen bis 2022 87’000 zusätzliche ICT-Arbeitskräfte. Diese Zahl präsentierte der Verband ICT Berufsbildung Schweiz im September. Dass der Schweiz so dringend ICT-Fachkräfte fehlen sollen, ist vor allem für diejenigen ICT-Fachkräfte schwer zu verstehen, die derzeit auf Jobsuche sind. Gemäss Zahlen aus dem Jahr 2013 sind dies in der Schweiz mehrere Tausend. Besonders gross ist der Anteil der älteren ICT-Fachkräfte ohne Job. Mit «älter» ist dabei 45plus gemeint. Als mögliche Begründung für dieses Phänomen heisst es von ICT-Berufsbildung Schweiz: «Die sehr atypische Zunahme des Arbeitslosigkeitsrisikos mit dem Alter in der IT hat vermutlich primär mit dem schnelllebigen Fachwissen zu tun, aber auch der hohe Anteil an Quereinsteigern, denen teilweise das breitere Fachwissen fehlt, welches nicht ‹on the job› erlernt wird, dürfte dazu beitragen. Der Druck in der IT, sich ständig weiterzubilden, ist ungleich höher als in anderen Berufsfeldern.» Ist das wirklich so? Bilden sich ICT-Spezialisten ab einem gewissen Alter weniger weiter? Sinkt die Bereitschaft, sich mit neuen Technologien und Entwicklungen auseinanderzusetzen, wenn man als ICT-Spezialist 45, 50, 55 Jahre alt ist? Falls dem so ist, ist man in der falschen Branche. Erfahrung ist Trumpf, aber Erfahrung allein reicht nicht, wie unser Artikel auf Seite 64 zeigt.

Ich glaube allerdings viel mehr, dass Arbeitnehmer vielen Unternehmen ab einem gewissen Alter einfach zu teuer sind. Gemäss dem Lohnbarometer von Jobcloud (siehe Seite 62) erfolgen die grössten Lohnerhöhungen im Alter zwischen 25 bis 44 Jahren. Folgedessen ist ein Arbeitnehmer mit 45 Jahren und mehr teuer. Doch ist ein solcher Arbeitnehmer mit 20 Jahren Erfahrung auch zwingend besser und leistungsfähiger als einer mit zehn Jahren Erfahrung? Berechtigt das Alter zu mehr Lohn, oder sollte der Lohn allein leistungs- und allenfalls noch ausbildungsabhängig sein? Und ist es wirklich wahr: Verlangen ältere ICT-Spezialisten nur aufgrund ihres Alters tatsächlich mehr Lohn als jüngere, oder haben Unternehmen häufig einfach nur das Gefühl, es lohne sich gar nicht, einen älteren Arbeitnehmer zum Vorstellungsgespräch einzuladen, weil der «ohnehin zu teuer» ist? Ich bin mir nämlich ziemlich sicher, dass ein 55-jähriger Informatiker, der seit zwei Jahren auf Arbeitssuche ist, durchaus gewillt ist, für einen Lohn zu arbeiten, den auch ein 35-Jähriger verlangt.

Die eingangs geschilderten Erlebnisse zeigen: Der Jugendwahn ist nicht nur ein ICT-exklusives Thema. In den meisten Branchen dürften sich Arbeitnehmer ab 45 oder 50 eine Kündigung zwei Mal überlegen aus Angst, keinen Job mehr zu finden. Dabei sprechen wir jedoch von Arbeitskräften, die noch mindestens 15 Jahre zu arbeiten haben. Wie viele (jüngere) Mitarbeiter in Ihrem Unternehmen sind bereits seit mehr als 10 Jahren für Sie tätig? Mir ist klar, dass kein Unternehmen grosse Lust darauf hat, einem Arbeitnehmer einen hohen Lohn bezahlen zu müssen, nur weil der älter ist. Aber man sollte als Unternehmen auch älteren Arbeitnehmern, die häufig nämlich durchaus bereit sind, sich für Leistung und nicht fürs Alter bezahlen zu lassen, eine Chance geben.
(mw)


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