CIO Interview: «Die klassische IT wird immer mehr zur Commodity»
Quelle: Ruag

CIO Interview: «Die klassische IT wird immer mehr zur Commodity»

Als CIO des Schweizer Technologiekonzerns Ruag beschäftigen Andreas Fitze aktuell Themen wie Tablets oder der Fachkräftemangel, aber immer mehr auch Geschäftsprozesse.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2013/11

     

Swiss IT Magazine: Herr Fitze, wann und wie sind Sie in die IT gekommen?
Andreas Fitze:
Eigentlich schon sehr früh. Ich habe mit elf Jahren begonnen, eine Immobiliensoftware zu schreiben und diese dann ein Jahr später auch verkauft. Beigebracht habe ich mir das dafür nötige Wissen autodidaktisch. Danach bin ich erst während meines Studiums wieder vermehrt mit dem Thema IT in Verbindung gekommen. Anschliessend arbeitete ich in einer Ingenieurfirma, die in der Prozessautomation für Industriebetriebe tätig war. Dort war ich Abteilungs-
leiter für Leitsysteme und Mitglied der Geschäftsleitung.


Was waren weitere berufliche Stationen?
Begonnen habe ich bei Siemens im Bereich Projekte für die Gebäude-Automation. Ich war ausserdem auch zweieinhalb Jahre in der Airline-Branche tätig und habe Fluggesellschaften mit IT ausgerüstet. Zuletzt war ich elf Jahre bei Postfinance tätig, in fünf verschiedenen Positionen, vom Teamleiter über den stellvertretenden Betriebsleiter bis hin zum Leiter Informatik Governance, Strategie und Sicherheit.

Seit Anfang April sind Sie nun Group CIO des Ruag-Konzerns. Warum dieser Wechsel?
Nach elf guten Jahren bei Postfinance wollte ich etwas Neues machen. Dafür hatte ich meinen Rucksack voll und war bereit für neue Herausforderungen. Genau diese Herausforderungen waren es, die mich hier bei Ruag in einem sehr dynamischen, internationalen, stark divisionalen und auch sehr heterogenen Umfeld reizten und forderten.


Wie haben Sie das Unternehmen in der kurzen Zeit kennengelernt?
Ruag ist ein unglaublich vielfältiges Unternehmen, das auch im zivilen Bereich stark wächst – leider wird das von aussen nicht immer so wahrgenommen. Es gibt viele interessante Technologien, in die investiert wird, beispielsweise im Raum- oder Luftfahrt-Geschäft. Und Ruag ist längst nicht mehr nur in der Schweiz, sondern zu 60 Prozent international tätig – nicht zuletzt, weil wir für den Bund, unseren Eigner, die Ausrüstung und Instandhaltung der Technologien sicherstellen. Das können wir nur qualitativ hochstehend und effizient tun, wenn wir unser Wissen auch im zivilen und internationalen Bereich einsetzen können, also dort, wo die Märkte wachsen. Das ist nicht in der Schweiz oder Europa, sondern derzeit insbesondere im asiatisch-pazifischen Raum sowie in Nordamerika.

Welchen Stellenwert hat die IT für Ruag?
Es ist sicher nicht so wie in der Bankenumgebung, aus der ich komme, wo fast jeder dritte Franken für die IT ist. Doch was die Sicherheit der Daten anbelangt, bewegen wir uns in einem ähnlichen Umfeld, in dem durchaus sehr kritische Kundendaten vorhanden sind.

Wie wird die Sicherheit dieser sensiblen Daten gewährleistet?
Wir nutzen dazu die modernsten Technologien und Mittel. Ein Punkt ist das Need-to-Know-Prinzip, also Daten zu klassifizieren, Berechtigungen zu vergeben und entsprechende Zugriffe beziehungsweise Zutritte zu gewähren. Das geht bis zu sehr restriktiven Massnahmen, falls es sich um geheime Themen handelt. Ansonsten haben wir unsere Security- und Informationsprozesse, die wir auf einem möglichst hohen Standard und Niveau halten und in die wir laufend investieren. Nur so können wir unsere Reputation und das Vertrauen gegenüber unseren Kunden aufrechterhalten.

Apropos Datenschutz: Was ist mit der Cloud?
Wir bieten bereits und möchten intern vermehrt Plattform oder Infrastructure as a Service anbieten. Ansonsten verwenden wir die Cloud eigentlich schon sehr vielfältig in verschiedenen Bereichen, zum Beispiel im HR. Das kommt sicher daher, dass man durch die Cloud in der Umsetzung viel Geschwindigkeit gewinnt. Die Konsequenz ist vielfach jedoch, dass es komplexer wird, vor allem was die Datenintegration angeht. Es wird durch die Cloud also nicht einfacher, die Heterogenität in der Architektur wird eher noch stärker. Andererseits muss man sagen, dass die Cloud-Anbieter preislich und funktional interessant sind.


Wie ist Ihre IT heute generell aufgestellt?
Wir haben eine zentrale IT-Organisation, die von mir als Group CIO geführt wird. Sie bietet diverse IT-Dienstleistungen für die ganze Schweiz und zum Teil auch weltweit an. Wir haben daneben aber auch noch diverse interne und zum Teil auch externe Provider in den einzelnen Divisionen, die verschiedene weitere Dienstleistungen anbieten. Auch sie werden von mir geführt. Weiter ist es so, dass es in der Produktentwicklung – in vielen Produkten steckt heute Software, beispielsweise im Satellitenbereich, aber auch in unbemannten Fahrzeugen – einige weitere Informatiker gibt. Die Software-Entwicklung ist bei uns zum Teil also sehr nahe an der Hardware und es geht in Richtung Embedded-Lösungen.

Welche Services stellen Sie zentral zur Verfügung?
Dazu gehören die klassischen Basisleistungen für Clients, Büro-Automation, Printing, Netzwerk oder Sicherheit. Wir haben hier zentral zudem auch einige Teams für Business-Applikationen wie SAP und decken diesen Bereich in der Schweiz damit vollständig ab. Wobei das nicht heisst, dass alles aus Thun kommt. Die Corporate IT ist auch in Bern, Emmen und Zürich sowie in Oberpfaffenhofen bei München zu Hause.


Wie viele Mitarbeiter sind bei Ruag damit insgesamt mit IT-Aufgaben betraut?
Die Corporate IT beschäftigt rund 150 Mitarbeiter. Bei den Providern draussen sind es ungefähr 35 weltweit. Die Anzahl an IT-Leuten, die direkt in den Produkte-Abteilungen arbeiten, beläuft sich derweil auf rund 100. Das schöne ist, dass wir insgesamt auch rund 40 Informatik-Lehrlinge haben, also rund zehn pro Jahr. Ruag selber bildet 420 Lernende aus, was dem Unternehmen enorm wichtig ist.

Ob dieser vielen Lehrlinge dürfte der Fachkräftemangel bei Ihnen kein Thema sein?
Doch, er ist für uns leider durchaus ein Thema. Wir übernehmen zwar viele Lernende, so ist es nicht. Aber vielfach braucht man Leute auf Senior-Stufe. Der Fachkräftemangel hat übrigens auch etwas mit unseren Standorten zu tun und wieso wir überhaupt in Zürich sind. Dort kann man im Bereich der Software-Entwicklung deutlich besser rekrutieren als anderswo. Diese Standortvorteile wollen wir überall nutzen. Ich denke zum Beispiel an Bern, wo man weniger Software-Entwickler findet, dafür beispielsweise wesentlich mehr Systemadministratoren oder ähnliche Funktionen.


Wie sehen Sie die Situation ganz allgemein?
Spezialisten wie Architekten oder gute Projektleiter zu rekrutieren, ist in der Schweiz aktuell schwierig. Dabei geht es nicht unbedingt um den Lohn, das spüre ich weniger. Senioritäten wollen vielmehr ein interessantes und attraktives Umfeld, in dem sie wirken und etwas erreichen können, und die Rahmenbedingungen, natürlich auch finanzieller Natur, stimmen. Das muss man ihnen zur Verfügung stellen und das ist die grosse Herausforderung. Hierzu, aber auch ganz allgemein, um uns als Arbeitgeber in der IT bekannter zu machen und unsere lokale Verankerung zu unterstreichen, möchten wir noch mehr tun und unsere Präsenz ausbauen. Wir haben in der IT vollkommen auf Mobile umgestellt, haben eine moderne und attraktive Arbeitswelt geschaffen und die Standortfrage steht damit nicht mehr im Zentrum. Diesen Weg wollen wir konsequent weiter gehen.
Was machen Sie trotz Ihrer grossen IT-Abteilung nicht selber?
Wir haben keine grossen Outsourcing-Verträge, aber im Bereich Printing oder was das Engineering in unseren Rechenzentren betrifft – den Betrieb stellen wir selbst sicher – wird beispielsweise viel von externen Firmen für uns erledigt. Dazu kommen einige punktuelle Aufträge.

Wie viele Rechenzentren betreuen Sie?
Wir haben zwei grosse und moderne Rechenzentren, wobei wir eines davon erst ganz frisch in Betrieb genommen haben. Damit wollen wir sukzessive verschiedene kleinere, dezentrale Rechenzentren beziehungsweise Data-Center-Strukturen vor Ort, also in der Schweiz und auch im Ausland, abbauen.


Wie sieht es auf Client-Seite aus?
Bei Ruag gibt es weltweit rund 6500 Clients. Davon sind rund ein Drittel Notebooks und zwei Drittel Desktop-PCs, wobei die Tendenz ganz klar in Richtung Notebooks und damit Mobilität geht. Von den weltweit rund 8000 Mitarbeitenden haben aber lange nicht alle einen eigenen Rechner.

Was ist mit mobilen Geräten wie Tablets und Smartphones?
Wir führen noch im November, also diesen Monat, offiziell Tablets ein. Allerdings handelt es sich dabei erst um einen Pilotversuch, die Freigabestelle ist entsprechend noch relativ hoch angesiedelt. Denn wir wollen nicht, dass durch die Einführung eines Tablets einfach ein weiteres Gerät benutzt wird und die Kosten explodieren, sondern dass man es wirklich auch geschäftlich nutzt. Wir unternehmen deshalb momentan diverse Anstrengungen, unter anderem, um Daten aus dem ERP nach vorn auf das Tablet zu bringen. Einsatzszenarien sehe ich neben dem Bereich Management und Sales aber auch im Unterhalt, beispielsweise dem sogenannten MRO-Geschäft im Airline-Umfeld, sowie durchaus auch in der Produktion. Ausserdem sind wir auch dran, eigene interne Apps zu entwickeln. Wir haben dazu keine grosse Roadmap, sondern wollen vieles offen lassen und herausfinden, was überhaupt möglich ist. Das ganze wird natürlich auch mit Blick auf die Smartphones angeschaut, von denen wir schon eine rechte Population haben.

Wie viele Smartphones sind es genau? Und auf welchen Hersteller setzen Sie?
Etwas mehr als ein Drittel (36%) der ganzen Belegschaft ist heute mit einem Handy oder Smartphone ausgerüstet. Was die Gerätestrategie betrifft, so haben wir bis jetzt drei Plattformen beziehungsweise Geräte, die wir unterstützen: Das sind rund 1000 iPhones von Apple, rund 700 einfachere Mobilgeräte für Mitarbeiter, die sie nur zum Telefonieren benötigen, und Blackberrys. Nun planen wir aber auf zwei Geräte zu fokussieren.


Das heisst Blackberry verschwindet bei Ruag demnächst?
Ja, ein entsprechender Entscheid steht an. Der Grund ist das Bedürfnis des Kunden beziehungsweise des Mitarbeiters, der bei uns selber entscheiden kann, was er für ein Gerät will. Und immer mehr wollen ein iPhone, während die Zahl der Blackberrys dramatisch zurückgegangen ist. Damit rechnet es sich für uns nicht mehr, die Plattform zu betreiben, zumal auch Updates anstehen. Natürlich gibt es auch Themen wie Security und wie man Policies durchsetzen kann, aber dafür gibt es schlussendlich immer eine Lösung und das iPhone ist diesbezüglich sehr gut.

Sie werden darum vermutlich auch iPads und keine anderen Tablets anschaffen?
Ja, denn hier würde es nun wirklich keinen Sinn machen, eine zweite Plattform aufzubauen. Hier kann man jetzt vom bestehenden Know-how profitieren. Wobei ich erwähnen muss, dass wir in diesem Bereich mit einem externen Provider zusammenarbeiten, der uns verschiedene Services inklusive Gerätemanagement zur Verfügung stellt und auch für die Beschaffung der Geräte sorgt.

Gibt es andere anstehende Projekte?
Momentan sind wir daran, die Weichen für die nächsten Jahre in unserer aus der Historie heraus sehr heterogen gewachsenen Applikationslandschaft zu stellen. Das muss oder soll nicht heissen, dass wir alles vereinheitlichen wollen. Es geht wirklich darum, die ganze Situation einmal genau zu analysieren und dann Zielsetzungen zu definieren. Und das ist ein sehr komplexes Unterfangen.


Um wie viele Applikationen geht es?
Das kann ich nicht genau sagen, weil viele nicht zentral über uns laufen und nur lokal installiert sind. Es sind aber sicher hunderte, viele davon im ERP-Umfeld.

Ist das gleichzeitig auch Ihre aktuell grösste Herausforderung? Oder gibt es da eine andere?
Wenn man im Geschäft wirklich weiter kommen und nicht nur Kosten senken will, braucht es standardisierte und harmonisierte Geschäftsprozesse. Da liegt aktuell mein Hauptfokus. Es geht nicht mehr nur um IT, also Technologie, sondern eben vermehrt auch um die Entwicklung von Geschäftsprozessen und deren Unterstützung. Es geht vermehrt auch ums Informationsmanagement, also viel weiter als um die liebe Technologie oder Themen wie Security.


Die Rolle des CIO hat sich also verändert und die Technologie hat an Stellenwert verloren – kann man das so zusammenfassen?
Ich glaube man muss ehrlich sein: Man muss sich heute mit dem Geschäft entwickeln und nicht umgekehrt, also das Geschäft mit der Technologie. Die klassische IT wird derweil immer mehr zur Commodity. Trotzdem muss man sie natürlich verstehen und auch managen können. Aber ich glaube, das ist der grosse Standort- und Marktvorteil der Schweiz. Wir haben diese Nähe zwischen Technologie und Geschäft. (mv)


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