«Die Akzeptanz steht und fällt mit der Benutzerfreundlichkeit»

Rund 100 Millionen Franken investiert AXA Winterthur jährlich in Projekte. Urs Stoob, Director Sales & Digital Business Applications, gibt Auskunft über die Software-Entwicklung bei der AXA Winterthur.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2013/04

     

Herr Stoob, was versteht die AXA unter «Digital Business»?
Es geht darum, an allen denkbaren Interaktionspunkten zum Kunden präsent zu sein und die Kundenanliegen so ins Unternehmen zu bringen, dass wir sie effizient, standardisiert und kundenfreundlich bearbeiten können. Das Schlagwort aus der Innensicht ist Industrialisierung – alles effizienter machen mit Hilfe von Digital – und von aussen gesehen ist Multi Access das Credo, das es umzusetzen gilt. Die IT muss passende Konzepte und Technologien bereitstellen, um diese neuen Geschäftsideen und Bedürfnisse zu unterstützen.

Welche Bedeutung hat Software für Ihr Unternehmen?
Software ist äusserst wichtig. Wir betreiben über 200 Systeme, von der Krippenplatzverwaltung bis zu den geschäftskritischen Anwendungen, in denen wir unsere Policen abbilden. Darunter sind 25 Jahre alte Mainframe-Anwendungen, programmiert in PL1, aber auch Software auf Basis von Technologien, die noch nicht sechs Monate alt sind. Wir streben aber danach, mit möglichst wenig Applikationen auszukommen. Mit einer Konvergenzstrategie wollen wir redundante Funktionalitäten eliminieren: Jedes System kostet und erhöht die Komplexität.


Was investiert Ihr Unternehmen in Softwareprojekte?
Lassen Sie es mich anders formulieren: Was investieren wir in Projekte? Software ist ein wichtiger Teilaspekt, aber auch Geschäftsprozesse und organisatorische Massnahmen spielen eine Rolle. Oft lässt sich etwa mit einer simplen Vereinfachung der Kompetenzordnung schon viel verändern. Insgesamt investiert die AXA Winterthur jedes Jahr rund 100 Millionen Franken in Projekte.

Genügt diese Summe?
Wir könnten natürlich auch mehr ausgeben, der genannte Betrag hat sich aber als sinnvolle Grösse etabliert und unterstützt die Transformation unserer Organisation am besten. Man kann auch übertrieben investieren und zu viele Ideen umsetzen, dann leidet die Nachhaltigkeit – alle Projekte müssen gut aufeinander abgestimmt sein.

Wie entstehen neue Projekte?
Ein Unternehmenskonzept namens AXA Ideenmanagement ermöglicht es jedem Mitarbeitenden, Ideen zu lancieren. Damit daraus ein Projekt wird, braucht es aber auch einen Sponsor auf Führungsebene, der einen Nutzen für das Unternehmen erkennt und die Verantwortung übernimmt. Danach kommt das Portfoliomanagement zum Tragen: Es werden jene Projektideen zur Umsetzung ausgewählt, die die Geschäftsstrategie am wirksamsten unterstützen und das beste Kosten-Nutzen-Verhältnis bieten. Für die Umsetzung der Projekte haben wir einen standardisierten Solution-Delivery-Prozess. Diese Prozess-Frameworks brauchen wir für die Steuerung der Investitionen.

Solution-Delivery-Prozess, Prozess-Frameworks – das klingt rigide. Bleibt nicht die Innovation auf der Strecke, wenn alles nach Schema F abläuft?
Im Gegenteil, das klar definierte Vorgehen hilft dabei, gleichartige Prozesse standardisiert abzuwickeln und gibt den Projektteilnehmern einen Leuchtturm, an dem sie sich orientieren können. So können sie sich mit den eigentlichen Projektaufgaben, den Inhalten und Innovationen beschäftigen, statt ständig nach der korrekten Vorgehensweise zu suchen.


Welche Phasen durchläuft ein Projekt?
Nachdem eine Idee durch Bedürfnisabklärung und Stake-holder-Analyse den Projektstatus erreicht hat, wird mit intelligentem Projektmanagement die Abwicklung geplant. Im Requirements Engineering wird dann zu Papier gebracht, welche Funktionen das Produkt am Schluss bieten soll. In der Analyse- und Design-Phase entwerfen Software-Architekten das Zusammenspiel der Frontend- und Backend-Systeme. Die eigentliche Implementation der Konzepte und die Umsetzung in Code nennen wir «Build and Customize» . Darauf folgen eingehende Tests. Nach der produktiven Einführung werden in einer Garantiephase die letzten Probleme ausgebügelt, danach ist das Projekt abgeschlossen, und die neue Anwendung wird an die Betriebsorganisation übergeben.

«Agile Development» ist in der IT-Welt in aller Munde. Wie steht die AXA in dieser Hinsicht da?
Wir lernen gerade, wie man von klassischen Wasserfall-Projekten zu Methoden übergeht, mit denen man Kunden und internen Anwendern rasch etwas zeigen und Feedback einholen kann. Das Ziel ist, nicht monatelang Papier zu produzieren und dann etwas abzuliefern, was der Kunde gar nicht wollte. In einzelnen Projekten setzen wir deshalb zunehmend inkrementelle und iterative Modelle sowie Methoden wie Scrum ein.


Können Sie ein Beispiel eines aktuellen Softwareprojekts nennen?
Unser neues Broker- und Vermittlerportal wird Mitte 2013 verfügbar sein. Wir bieten unseren Broker-Kunden schon seit zehn Jahren ein ähnliches System an und lancieren nun eine neue Generation auf einem aktuellen technischen Stand. Die Broker können mit der Lösung ihre Prozesse optimieren und vieles über ein Self-Service-Portal erledigen, das zuvor eine telefonische Anfrage erforderte.

Was für Technologien setzen Sie dabei ein?
Das Besondere am Brokerportal ist die Summe an neuen Konzepten, Technologie-Frameworks und Entwicklungsplattformen. Beispielsweise nutzt die neue gebaute Plattform JEE6 sowie neue Architekturkonzepte mit Composite Components im Frontendbereich.

Welche Rolle spielt die Usability in Ihren Projekten?
Sie wird immer wichtiger, denn die Akzeptanz eines Systems steht und fällt mit der Benutzerfreundlichkeit. Wir haben Spezialisten, die uns beraten und die Ergonomie der Software untersuchen, bis hin zu kleinsten Details wie der Anordnung der Eingabefelder auf dem Bildschirm. Das sind keine Informatiker, sondern UI/UX-Spezialisten, die im Marketing angesiedelt sind. UI/UX steht für User Interface und User Experience. Dieses Berufsbild gewinnt in der Software-Welt mehr und mehr an Bedeutung. Wo diese Skills und Spezialisten angesiedelt sind – ob in der IT oder im Business – ist nebensächlich; wichtig ist das gute Zusammenspiel der Disziplinen und dass bereits in der Konzeptionsphase künftige Benutzer beigezogen werden, damit keine Elfenbeinturmlösungen entstehen.

Was sind Ihre grössten Herausforderungen?
Vereinfachen, fokussieren, agiler werden. Diese drei Schlagworte versinnbildlichen die Grundpfeiler unserer IT Strategie – das ist unser tägliches Brot, jetzt und auch noch in fünf Jahren. Etwas operativer ausgedrückt hätte ich gesagt: priorisieren, priorisieren, priorisieren.

Entwickeln Sie im Haus oder nutzen Sie Outsourcing und Offshoring?
Es kommt auf den richtigen Mix an. Im Sinn einer verlängerten Werkbank setzten wir dort, wo es aus Kostengründen sinnvoll erscheint, auf Offshoring. Wir haben einige Erfahrung gesammelt, was dabei funktioniert und was nicht. Unser Sourcing-Konzept sieht ausserdem vor, dass uns lokale, externe Spezialisten dort unterstützen, wo wir noch wenig eigenes Know-how oder keine Kapazität haben. Die tragende Stütze ist aber ganz klar unser eigenes IT-Team.

Welche Art von Aufgaben lagern Sie an Offshoring-Dienstleister aus?
Offshoring funktioniert sehr gut mit Lifecycle-Projekten, wo eine bestehende Lösung auf eine neue Technologie umgestellt wird, ohne dass sich die Business-Anforderungen ändern. So etwas kommt in der IT öfter vor. Schwieriger lassen sich innovative Projekte mit neuartigen Geschäftsanforderungen auslagern, bei denen das Endprodukt noch gar nicht klar feststeht.


Wieso entwickelt die AXA überhaupt noch selbst?
Unsere Strategie definiert, wie wir die Frage «make or buy» beantworten. Commodity-Software wie eine Buchhaltung macht heute niemand mehr selbst, wir eingeschlossen. Mit Software im Versicherungs-Kernbereich können wir uns hingegen differenzieren, eigene Ideen einbringen und müssen uns nicht in die Leitplanken einer Standardsoftware zwängen. Generell scheint mir die Ausrichtung auf Standardsoftware im Versicherungswesen noch weit weniger fortgeschritten als etwa bei Banken.

Viele IT-Organisationen klagen über Fachkräftemangel. Leidet die AXA auch darunter?
Es wird immer schwieriger, profilgenau ausgebildetes Personal zu finden. Umso wichtiger ist es, nach wie vor eigene Ausbildungen anzubieten. Wir haben in der IT jedes Jahr rund ein Dutzend Lernende, davon etwa acht in der Software-Entwicklung – über die vierjährige Lehre gerechnet sind also ständig 40 Auszubildende im Haus. Ausserdem ziehen wir Mitarbeitende für zunehmend wichtige Disziplinen wie Projektmanagement und Solution Architecture mit eigenen Weiterbildungsangeboten heran.
(ubi)


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