Outsourcing-Kosten zu hoch? Governance-Prozesse auslagern
Quelle: Swiss ICT Magazin

Outsourcing-Kosten zu hoch? Governance-Prozesse auslagern

Von Peter Bertschin

Unternehmen, die bereits Erfahrung mit Outsourcing-Projekten gemacht haben, wissen: Die eigentliche Arbeit beginnt erst nach dem Vertragsabschluss. Tatsächlich fallen bis 98 Prozent der Gesamtkosten erst nach der Unterschrift an; die Ausschreibungsphase schlägt dagegen kaum zu Buche.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2013/01

     

Dieses Phänomen begründet sich nicht zuletzt durch die Governance, den Organisationsaufwand also, der die Zusammenarbeit von Supply und Demand in der IT beziehungsweise von Service Provider und Auftraggeber regelt. Ein professionelles Outsourcing-Projekt kann bis zu 30 Prozesse beinhalten. Dazu zählen zum grossen Teil rein administrative Routinetätigkeiten, wie etwa das Vertrags- und Service-Level-Management oder auch das Invoice-Mangement. Im Idealfall sollten diese Prozesse durch die Retained Organization (RO) des Auftraggebers realisiert werden – und nicht mehr als acht Prozent des Gesamtvolumens eines Outsourcing-Deals beanspruchen.
Die Realität jedoch sieht vielerorts anders aus und Größenordnungen von 15 Prozent des Gesamtbudgets sind keine Seltenheit. Die Gründe sind vielfältig: Zum einen befassen sich in Unternehmen oftmals mehr Mitarbeiter als nötig mit dem Thema Governance und sie arbeiten quer über viele Abteilungen hinweg daran, zum Beispiel im Einkauf. Die entsprechenden Kosten werden mithin zunächst nicht dem IT-Budget zugerechnet. Sie werden aber sichtbar, sobald Unternehmen die tatsächlichen Outsourcing-Kosten untersuchen.

Unkontrolliert arbeitende Retained Organization

Für Unternehmen kann sich der Wildwuchs in Sachen Governance auf Dauer als fatal erweisen: Die Mitarbeiter, die mit Aufgaben der RO betraut werden, sind oftmals unerfahren. Nicht zuletzt, da die Governance nicht zu ihrem eigentlichen Kerngeschäft gehört, sind sie zudem oft überfordert, und halten mit den typischen Entwicklungen innerhalb eines Outsourcing-Projekts nicht mit. Dazu zählt etwa, dass sich im Lauf eines Projekts die Inhalte und Anforderungen immer mal wieder ändern: Leistungen werden erweitert, reduziert oder neu aufgenommen.
Das Ergebnis: Vor Leistungsveränderungen werden keine Change Requests gestellt und auch keine Vertragserweiterungen und SLA-Anpassungen vorgenommen. Mehr- und Minderleistungen werden im Arbeitsalltag zwar umgesetzt, dabei aber nicht oder nicht ausreichend dokumentiert. Der Leistungsverbrauch wird somit nicht gesteuert, sondern es entwickelt sich besagter Wildwuchs.
Hinzu kommt in heutigen Outsourcing-Projekten, die man auch als «dritte Generation im Outsourcing» bezeichnet und die vor allem von Multi-Provider-Umgebungen geprägt sind, die exponentielle Zunahme der Komplexität. So sind Desktopmanagement und Applikationsmanagement/-wartung oft an verschiedene Dienstleister vergeben. Da die Prozesse in der Leistungserbringung stark verzahnt sind, müssen diese Provider jedoch vielfach zusammenarbeiten (beispielsweise bei Problemlösungen) und deshalb auch untereinander Beziehungen pflegen, die es wiederum zu managen gilt.
Derartige Veränderungen führen dazu, dass das Unternehmen während der Laufzeit eines Vertrags die Übersicht über die genauen Inhalte, Volumina und Zuordnungen der Leistungsvereinbarungen verliert. Umgekehrt ist dieser Umstand jedoch auch für die Dienstleister ärgerlich, so etwa durch einen eklatanten Anstieg fehlerhafter Rechnungen.

Folgen schlechter Governance

Die folgenden Disproportionen können den Erfolg eines Outsourcing-Projektes spürbar beeinflussen:

1. Der Fokus eines signifikanten, qualifizierten Teils der Mitarbeiter auf rein administrative Tätigkeiten geht zu Lasten der eigentlich angestrebten Nutzenstiftung der Outsourcing-Beziehung und ihres Beitrags zur Wertsteigerung – wie etwa der Diskurs über zugesagte Innovationen, bessere Prozessunterstützung, Lösungen für Herausforderungen der Zukunft etc.


2. Die Beziehung zwischen Demand- und Supply-IT wird belastet. In zwei Dritteln der Outsourcing-Situationen finden wir eine latente oder offensichtliche Unzufriedenheit, die vor allem durch den oft zermürbenden Alltag bedingt ist. Wechselseitige Schuldzuweisungen tragen zur Eskalation bei: So glauben 89 Prozent der Auftraggeber, schlechte oder verfehlte Ergebnisse seien Schuld des Lieferanten – während wiederum 81 Prozent der Lieferanten überzeugt sind, dies sei Schuld des Auftraggebers.

3. Die langfristige Folge: Nicht selten wird der ursprüngliche Business Case –der die Grundlage für die Outsourcing-Entscheidung bildete – sukzessiv ausgehöhlt. So belegen TPI-Untersuchungen, dass zwischen 5 und 30 Prozent des erwarteten Werts von Transaktionen durch ineffektive Governance verloren gehen.




Wie man der Falle entkommt

Aufgrund der Erkenntnis, dass sich Unternehmen vornehmlich auf ihr Kerngeschäft konzentrieren sollen, wurden speziell die operativen Abläufe in der IT in den letzten Jahren zunehmend standardisiert und als Service ausgelagert. Vor diesem Hintergrund ist es empfehlenswert, auch substanzielle administrative Prozesse innerhalb der Governance als standardisierte Services auszulagern. Insbesondere dann, wenn sie unternehmensübergreifend erhebliche Ressourcen binden.
Rund zwei Drittel aller 30 Governance-Prozesse könnten standardisiert und ausgelagert werden (Abbildung). In der Realität sähe dies so aus: Die strategischen und inhaltlichen Bereiche, wie das Beziehungsmanagement, Entscheidung, Genehmigung und Eskalation, verbleiben beim Auftraggeber, die lästigen Routinearbeiten werden dem Dienstleister übergeben. Letzterer kann diese Services aufgrund von Standardisierung, Skaleneffekten und Offshore-Vorteilen gegebenenfalls sogar kostengünstiger realisieren.
Einen grossen Hebel stellt in diesem Fall die Rechnungsprüfung in Verbindung mit dem Service Level Management sowie dem Vertragsmanagement dar: Der Governance-Dienstleister (GDL) kann für den Kunden den oder die IT-Service-Provider auf formaler Ebene managen. Er erhält die jeweiligen Rechnungen und prüft unter anderem ab , ob für die abgerechneten Leistungen eine vertragliche Grundlage besteht, ob Vertragsanpassungen oder Change Requests anstehen, etc.

Keine Zahlung ohne nachvollziehbare Grundlage

Indem er das Prinzip «Keine Zahlung ohne nachvollziehbare Grundlage» konsequent anwendet, bringt der GDL Ordnung in den Prozess. Und er sorgt er dafür, dass Demand- und Supply-IT sich um die Versäumnisse der Vergangenheit kümmern und klare Vereinbarungen fixieren beziehungsweise fehlendes Vertragswerk nachziehen. Darüber hinaus steuert der GDL die Kern-Governance-Prozesse auf Basis von KPI (Key Performance Indicator), einem hoch effizienten Tool zur Erlangung von Transparenz.
Für den Auftraggeber bringt bereits diese rein formale Governance-Auslagerung signifikante und unmittelbare Einsparungen mit sich. Wie die Projekterfahrung zeigt, steigen die Prozessqualität beziehungsweise der daraus resultierende Mehrwert, sobald eine kritische Menge von Prozessen zusammengefasst und delegiert wird. Gleichzeitig können auf diese Weise die Prozesskosten spürbar reduziert werden.
Zusätzlich zu den direkten Cash-Einsparungen profitiert der Auftraggeber auch mittelbar durch so genannte Soft Savings. Dies liegt daran, dass der IT-Service-Provider seine Abrechnung teils durch Annahmen steuert – Annahmen, die oftmals gar nicht realisiert wurden und dementsprechend intransparent sind.

Die Vorteile neutraler Governance für Dienstleister

Die Realität im heutigen Outsourcing-Projekt sieht vielerorts so aus: Der IT-Provider muss einen erheblichen Teil seines Outsourcing-Budgets für Aufgaben verwenden, die den Mehrwert nicht mittelbar erhöhen, sondern im Gegenteil Zeit- und Ressourcen verschwenden. Dazu zählen etwa Beschwerden zur Rechnung, Nachforschungen, Datenkonsistenzprüfungen sowie die damit zusammenhängenden Kundengespräche bis hin zu letztlich überflüssigen Meetings.
Dies bedeutet: Auch für den Provider stellen diese vielen, nicht nutzenstiftenden Verwaltungstätigkeiten zunehmend ein Problem dar. Nicht zuletzt halten sie den Provider auch davon ab, sich auf die Entwicklung innovativer Lösungen für seinen Auftraggeber zu fokussieren. Seine eigentliche Rolle als strategischer Partner, als Enabler, kann er damit im schlechtesten Fall nicht mehr ausführen.
Es ist damit kaum verwunderlich, dass zunehmend auch die IT-Provider nach neutralen Lösungen suchen, mit denen die Governance-Prozesse, so etwa Rechnungen vor Stellung und Service-Level vor Kontrahierung, professionalisiert werden können.
Mit der wachsenden Bedeutung der Governance nimmt in der Branche derzeit daher auch die Suche nach tragfähigen Lösungen zu. Da nach der Infrastruktur auch die Software und ihr Management zunehmend in Form standardisierter Komponenten angeboten wird – etwa beim Cloud Computing – kann von einer fortschreitenden Reduzierung der IT-Fertigungstiefe ausgegangen werden. Der Anteil der Steuerung zwischen Demand- und Supply-IT dürfte damit immer grösser und wichtiger werden und Platz für neue Entwicklungen und Gewichtungen innerhalb eines Outsourcing-Projekts schaffen.


Peter Bertschin, SwissICT-Fachgruppe Sourcing & Cloud und Client Director Information Services Group


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