Voice over IP

Technische Hindernisse für Voice over IP gibt es kaum mehr. Dennoch soll der grosse Durchbruch erst in den nächsten beiden Jahren erfolgen.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2001/01

     

Der Hype hat sich deutlich abgeschwächt. Nachdem noch vor ein, zwei Jahren männiglich von Internet-Telefonie gesprochen hat, ist das Thema mittlerweile fast von der Bildfläche verschwunden. Kein Wunder, halten sich doch die Vorteile dieser Spielart von Voice over IP (VoIP) für den Privatkunden in ziemlich engen Grenzen: Von der einst hochgelobten Kostenersparnis, die beim Telefonieren übers Netz möglich sein soll, ist seit der Liberalisierung des Telefonmarkts und den damit verbundenen Preissenkungen kaum noch etwas zu spüren. Und das Telefonieren von PC zu PC bleibt eine umständliche Prozedur - während der Anruf vom PC auf ein (Mobil-)Telefon für den Enduser mangels flächendeckender Angebote von Gateways nach wie vor wenig praktikabel ist.


Firmen im Vorteil

Anders präsentiert sich die Situation für Firmen. Insbesondere grosse Unternehmen, die mit weltweiten Filialen operieren und ohnehin mit diesen vernetzt sind, können die verschiedenen Vorteile der Voice-over-IP-Technologie voll ausschöpfen.




Kosten: Gleich in zweierlei Hinsicht lassen sich mit VoIP Kosten senken: Einerseits ist es möglich, durch über das Internet verlaufende Telefonate die Gesprächskosten unter Umständen drastisch zu reduzieren bis sogar gänzlich zu eliminieren, wenn die Gespräche über eine bestehende WAN-Standleitung geführt werden. Andererseits kann man das firmeninterne Netzwerk nicht nur für Daten, sondern auch für Sprachübertragung nutzen - die doppelte Verkabelung der Arbeitsplätze ist somit nicht mehr nötig.





Komfort: VoIP-Systeme bieten weit mehr als die üblichen Komfort-Telefonfunktionen wie Halten, Makeln oder Konferenzschaltungen. Erst durch die enge Verknüpfung des Telefonverkehrs mit den standardisierten Komponenten der Datennetzwerke und die Digitalisierung der Sprache werden komplexe Anwendungsbereiche ermöglicht, die mit herkömmlicher Technologie kaum mit sinnvollem Aufwand realisierbar wären. Dazu zählen etwa Unified Messaging mit einheitlicher Handhabung verschiedener Kommunikationsmittel wie Telefon, Anrufbeantworter, Fax und E-Mail, softwarebasierende verteilte Call-Center oder die direkte Einbindung von Datenbanken unterschiedlichster Art.




Administrierbarkeit: Statt zweier getrennter Netze muss bloss noch das LAN verwaltet werden, die Telefoniefunktionen sind nahtlos ins Netzwerk integriert. Änderungen in der Netzstruktur, aber auch die Verwaltung von Netzteilnehmern lassen sich dank dem softwarebasierten Management des Netzes wesentlich einfacher und kostengünstiger vornehmen als bei gängigen analogen Telefonzentralen.



Natürlich kommen diese Vorteile der VoIP-Technologie vor allem in grossen Unternehmen zum Tragen. Profitieren können davon - wenn auch im kleineren Rahmen - aber durchaus auch KMU.


Kaum technische Probleme

Angesichts der verschiedenen Vorteile, die Voice over IP insbesondere für Firmen bringen kann, erstaunt die Tatsache, dass sich die Technologie - obwohl schon seit einigen Jahren stetig weiterentwickelt - noch nicht breitflächig hat durchsetzen können.



Hauptsächlich liegt das an den verschiedenen Interessenlagen der potentiellen Nutzer und Anbieter von VoIP-Diensten, und hier stehen sich vor allem die etablierten Telcos und die meist noch jungen Internet-Provider gegenüber. Während nämlich die Telcos zunehmend und erfolgreich im Providing-Markt operieren, müssen die klassischen Provider vermehrt auf Zusatzdienste setzen, um überleben zu können. Mit VoIP-Dienstleistungen wäre ihr Problem gelöst: Sie könnten global auch als Provider von Telefondiensten auftreten und den Telcos in deren angestammten Geschäften Konkurrenz machen - insbesondere, wenn sie weltweit einheitliche Vorwahlnummern für ihre VoIP-Netze erhielten, was die Telcos ihrerseits natürlich zu verhindern versuchen.




Probleme bereiten aber auch die Abrechnungsmodalitäten zwischen den an einer VoIP-Verbindung involvierten Dienstleistern, wozu neben dem Provider auch die Netzwerk-Betreiber und wiederum die Telcos gehören.



Technische Probleme stehen der flächendeckenden Einführung von VoIP dagegen kaum mehr im Weg, obwohl es natürlich auch hier stets Möglichkeiten für Verbesserungen gibt. Ein Beispiel für solche Optimierungen sind etwa die verwendeten Codecs (Codierer/Decodierer). Sie sollten eine möglichst hohe Komprimierung der Sprache bei gleichzeitig steigender Qualität ermöglichen und so die benötigte Bandbreite verringern. Angesichts der langsam, aber stetig steigenden verfügbaren Bandbreite entschärft sich dieses Problem aber von selber.



Dass die Gesprächsqualität oft eher schlecht ist, liegt an einem systemimmanenten Problem der Voice-over-IP-Technologie. Anders als das Telefonnetz, bei dem es sich um ein leitungsvermitteltes Netz handelt, arbeitet IP mit Paketvermittlung. Das heisst, dass beim gewöhnlichen Telefonieren stets eine Verbindung zwischen zwei Endpunkten aufgebaut wird, die dann direkt über eine Leitung miteinander verbunden sind. Bei einem Datennetz dagegen werden alle Daten in Pakete verpackt und auf die Reise geschickt. Welchen Weg zum Ziel sie nehmen, ist weder vorausbestimm- noch nachvollziehbar, und auch die Reihenfolge, wie sie beim Empfänger ankommen, entspringt dem Zufall. Das TCP-Protokoll sorgt immerhin dafür, dass die Pakete beim Empfänger wieder in logischer Reihenfolge zusammengesetzt werden - eine zeitliche Synchronisation dagegen ist nicht vorgesehen (und bei "normalen" Daten auch nicht nötig).




Standards ja, Interoperabilität nein

Zusätzlich unterscheiden sich aber auch die Adressierungsmechanismen in den Netzwerken. Das Telefonnetz nutzt dafür die Empfehlung E.164 der ITU (International Telecommunications Union), während im Internet die IP-Adressierung zum Zug kommt. Damit überhaupt eine Verbindung hergestellt werden kann, müssen die Adressen zunächst übersetzt werden. Geregelt werden diese Vorgänge von der ebenfalls von der ITU veröffentlichten Spezifikation H.323.



Damit die Sprache übers Internet überhaupt übertragen werden kann, benutzt man im Rahmen der H.323 die beiden Protokolle RTP (Realtime Transport Protocol) und RTCP (Realtime Control Protocol), beides Bestandteile der TCP/IP-Protokollsuite. Während ersteres für die Synchronisation zwischen Sender und Empfänger zuständig ist, indem es den IP-Paketen Zeit- und Synchronisationsinformationen hinzufügt, ermöglicht letzteres eine gewisse Quality of Service (QoS), indem es durch eine Priorisierung der Sprachpakete eine annähernde Echtzeitübertragung erreicht.




Die eigentliche Übertragung der Datenpakete nach H.323 geschieht nicht nach dem Transmission Control Protocol (TCP), sondern nach dem User Datagramm Protocol (UDP), das weder eine Fehlerkorrektur noch eine Eingangsbestätigung der Pakete bietet. Das ist auch nicht nötig, da eine erneute Sendung fehlerhafter Pakete die Qualität des Gesprächs nicht verbessern, sondern im Gegenteil deutlich verschlechtern würde.



Zwingend benötigt wird in einem H.323-Netz ein sogenannter Gatekeeper, der die Adressierung der Pakete, das Bandbreitenmanagement und damit die Steuerung des Netzes übernimmt. Dabei macht er eigentlich nichts anderes, als im IP-Netz eine Telefonanlage zu emulieren. Allerdings muss dieser Gatekeeper nicht unbedingt ein separater Rechner sein - nach der Spezifikation H.323 müssen die Endgeräte, sogenannte H.323-Terminals (Telefone mit Ethernet-Anschluss, PCs mit Telefonie-Software), die Funktionen des Gatekeepers auch selber übernehmen können.



Solange nur innerhalb eines IP-Netzes telefoniert werden soll, reicht ein Gatekeeper aus; für Verbindungen auf normale Telefonnetze dagegen werden zusätzlich Gateways benötigt. Im Gegensatz zum Gatekeeper müssen diese nicht innerhalb des IP-Netzes der H.323-Terminals stehen, sondern können da eingerichtet werden, wo eine derartige Brücke benötigt wird.



Grundsätzlich müssten dank dieser Standards sämtliche H.323-kompatiblen Geräte miteinander arbeiten können. In der Praxis ist das aber nach wie vor nicht der Fall, die Interoperabilität der H.323-Terminals lässt immer noch einiges zu wünschen übrig. Deshalb fährt man weiterhin am besten, wenn man für die gesamte Voice-over-IP-Infrastruktur die Produkte ein und desselben Herstellers einsetzt.




Ständige Weiterentwicklung

So vielfältig die Möglichkeiten mit den bestehenden Standards und Technologien auch sind, so lassen sie doch noch genügend Raum für Verbesserungen. Derzeit sind einige Gruppen innerhalb von Standardisierungsgremien damit beschäftigt, Lücken der H.323-Spezifikation zu füllen und den Standard zu verbessern.



Allen voran geht das ETSI (European Telecommunications Standards Institute), das mit dem Projekt Tiphon die Zusammenarbeit zwischen klassischen Telefon- und VoIP-Netzen verbessern will.




Aus einer Zusammenarbeit zwischen dem ETSI, der ITU und dem International Multimedia Teleconferencing Consortium (IMTC) ist die Conferencing over IP Activity Group (CoIP AG) entstanden, die sich insbesondere der Interoperabilität von H.323-Geräten widmet. Ein ähnliches Ziel verfolgt auch die aHIT! AG der IMTC, die Inkompatibilitäten in den Standards sucht und dokumentiert und damit ebenfalls zu einer besseren Interoperabilität führen soll. Aus einer weiteren Zusammenarbeit der drei Gremien hat sich schliesslich die IMTC Mobility Activity Group entwickelt, die sich speziell mit den Aspekten des mobilen Nutzens von Voice over IP beschäftigt.



Nicht zuletzt gibt es auch bei der Internet Engineering Task Force (IETF), die sich um die Standardisierung aller Techniken im Internet bemüht, zwei Gruppen, die sich speziell mit VoIP beschäftigen. Die IP-Telephony-Gruppe (iptel) kümmert sich dabei insbesondere um die Entwicklung von sogenannt peripheren Protokollen für die Sprachübertragung im Internet, während die PSTN-and-Internet-Internetworking-Gruppe (pint) nach Möglichkeiten sucht, um Telefoniedienste ins Web zu integrieren. Mit solchen Diensten könnten etwa Web-basierende Telefonverzeichnisse die Möglichkeit bieten, per Mausklick eine Telefonverbindung mit einem Dienstleister herzustellen.




Durchbruch in 2 Jahren?

All diesen Bemühungen und den verlockenden Vorteilen von VoIP zum Trotz vermochte sich die Technologie bisher nicht durchzusetzen. Die Gründe dafür sind vielfältiger Natur. Auf der einen Seite ist die Technik zwar ausgereift, mit der Kompatibilität und Interoperabilität ist es andererseits aber noch nicht weit her. Kommt dazu, dass es ungeachtet der funktionierenden Technik immer wieder zu Problemen kommen kann, die sich etwa in Systemabstürzen oder in (mitunter geschäftsschädigender) schlechter Gesprächsqualität manifestieren. Nicht zuletzt deshalb dürften sich - wie man in der Branche munkelt - einige Firmen bereits wieder von ihrer VoIP-Infrastruktur getrennt haben, während verschiedene Hersteller von Netzwerkgeräten sich nach wie vor weigern, die für VoIP nötige Technologie in ihre Produkte zu integrieren.



Der Hauptgrund für die eher schleichende Verbreitung dieser vielversprechenden Technologie liegt aber wohl darin, dass kaum ein grosses Unternehmen bereit ist, die bestehende, problemlos funktionierende Telefoninfrastruktur durch VoIP zu ersetzen und damit in eine neue Infrastruktur zu investieren, von der unklar ist, ob sie tatsächlich zu Kostensenkungen führt. So werden denn wohl auch in nächster Zukunft Voice-over-IP-Netze vor allem in Büro- oder Hotel-Neubauten implementiert, während die grosse Masse von Unternehmen weiterhin ihre alten Telefonanlagen nutzt.




Aber wohl nicht mehr für allzu lange: In einer Studie aus dem Jahr 2000 warnt die Gartner Group grosse Firmen zwar davor, zu rasch auf die neue Technologie umzusteigen. Aber bereits ab 2002 werde VoIP auch für diese Anwender reif genug sein. Kleinere Firmen mit weniger als 100 Telefonanschlüssen könnten dagegen schon jetzt bedenkenlos umsteigen. Und gemäss der Untersuchung "VoIP 2000" von Feldman Communications wird die Marktdurchdringung von Voice over IP in den nächsten Jahren massiv steigen. Die Studie kommt zum Schluss, dass bereits in zwei Jahren 15 bis 20 Prozent des gesamten Sprachverkehrs über Datennetze wie das Internet verlaufen werden, in fünf Jahren sollen es sogar 91 Prozent sein.



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