Bühne frei für das zweite Web

Entwickler, Web-Experten und –Pioniere diskutierten in San Francisco über die nächste Evolutionsstufe des WWW.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2005/19

     

Geht es nach den Teilnehmern der zweiten jährlichen Web-2.0-Konferenz in San Francisco, ist das Web, so wie wir es kennen, tot. An die Stelle von statischen Seitensammlungen, Medienriesen wie News Corp. und reinem Informationskonsum sollen User-zentrierte Applikationen, Communities und Self-Publishing treten. Das ganze segelt unter dem Begriff Web 2.0 und scheint langsam aber sicher einen neuen Dot-Com-Hype zu provozieren.


User im Zentrum

Wie auch schon im Vorjahr diskutierte Konferenzleiter John Battelle, Mit-Gründer des Magazins Wired, mit jeweils einem Gast die Möglichkeiten des neuen Webs. Zu den Gesprächspartnern zählten prominente Persönlichkeiten wie Sun-COO und Oberblogger Jonathan Schwartz oder Notes-Erfinder Ray Ozzie. Alles drehte sich dabei um das Motto «Revving the Web», was so viel wie «Das Web beschleunigen» bedeutet, und um einen neuen Typus von Web-Applikationen, bei denen der Anwender im Zentrum steht. Beispiele für derartige Anwendungen, die sich durch einen hohen Partizipations- und Kollaborationsgrad auszeichnen, sind die Foto-Sharing-Community Flickr oder das Online-Lexikon Wikipedia. Zu den neuen Web-Applikationen gehören aber auch Anwendungen, die im Gegensatz
zu klassischen Webseiten über
ein Rich-Interface verfügen und Desktop-Feeling vermitteln, wie beispielsweise Googles Gmail oder map.search.ch von der Schweizer Räber Information Management.






Wie Web 2.0 genau definiert ist, darüber ist man sich allerdings nicht einig. So reduziert Ross Mayfield, CEO von SocialText, einer Firma, die Wiki-Software an Unternehmen verkauft, auf den Satz: «Web 1.0 war Handel, Web 2.0 sind die Anwender.» Tim O'Reilly vom Konferenzsponsor O'Reilly Media drückt sich da schon differenzierter aus. Für ihn ist Web 2.0 ein Konstrukt, bei dem es ums Mitmachen und Vernetzen geht. Die Grundlage stellt für ihn dabei sogenannte Social Software dar, bei der die Inhalte durch die Anwender erstellt und nicht nur konsumiert werden, und die mit offenen Schnittstellen und Web Services ausgestattet ist, um sie mit anderen Applikationen vernetzen zu können.


12 Start-ups an einem Tag

In diesem, vor allem 2005 explosionsartig wachsenden Business, sehen auch wieder viele Start-ups ihre Chance. An der Web-2.0-Konferenz stellten sich gleich deren 12 der Öffentlichkeit vor. Sie versuchen mit Web-Implementierungen von Desktop-Applikationen in den Revieren der angestammten Software-Anbieter zu wildern. Das wohl bemerkenswerteste Beispiel neben der Online- Textverarbeitung Writeley war die Groupware Zimbra der gleichnamigen Firma, die sowohl Microsofts Outlook als auch Exchange ausstechen soll. Neben dem obligaten AJAX-Interface findet man viele der sogenannten Web-2.0-Konzepte wieder wie die Sortierung von
E-Mails mittels Tags oder die Vernetzung verschiedener Applikationen – so kann aus Zimbra heraus mit Skype telefoniert und der Situationsplan des Restaurants, in dem man zum Mittagessen verabredet ist, von Google Maps angefordert werden.


Neue Blase droht

Allerdings steht auch noch viel Skepsis hinter Web 2.0. So setzt beispielsweise Barry Diller, CEO von InterActiveCorp, die Eigentümerin von Ask.com ist, ein grosses Fragezeichen hinter das Konzept vom Self-Publishing, gemäss dem Blogger und Anwender mit Video-Editing-Software eine grosse Gefahr für die Entertainment-Industrie seien. Er begründet dies vor allem mit fehlendem Talent bei einem Gros der Leute. Aber auch wirtschaftlich birgt
Web 2.0 ein Risiko. So fürchten Finanz-Spezialisten eine neue Dot-Com-Blase – wohl nicht ganz unberechtigt, wenn man die Aktivitäten der Branchengrössen wie Google, Yahoo, Microsoft oder eBay beobachtet, die im Wochenabstand kleine Web-2.0-Firmen wie Skype oder Flickr zu teils aberwitzigen Preisen aufkaufen.




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