Surfer's Corner: Die Mutter aller Messen

Urs Binder über die Schweizer Messelandschaft.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2001/04

     

Die Internet Expo, zum Zeitpunkt des Erscheinens dieser InfoWeek-Ausgabe gerade so richtig in vollem Gange, dürfte heuer wohl noch mehr Besucher anziehen als bisher. Dabei vermeldete der Veranstalter schon für die letztjährige iEX mit 36'000 Besuchern einen Zuwachs von 45 Prozent, womit sich die Kombination aus Ausstellung und Konferenz einerseits zur schnellstwachsenden IT-Messe der Schweiz und andererseits definitiv zum Kult-Event der hiesigen Informatikszene gemausert hat. Die schiere Grösse des Ereignisses zeigt sich in der aktuellen Runde nicht zuletzt daran, dass erstmals sämtliche verfügbaren Hallen des Zürcher Messegebäudes belegt sind.


Messegang mit Hindernissen

Was sich in der Pressemitteilung in Form nackter Zahlen präsentiert, macht in den Messehallen selbst den Besuch zum Hindernislauf mit erhöhtem Schwierigkeitsgrad. Nicht nur, dass man vor lauter Publikum kaum zu den Objekten des eigenen Interesses durchkommt (zur Erinnerung: das wären eigentlich die Stände mit Produktpräsentationen und die anwesenden Fachkräfte der Aussteller). An einem Stand angelangt, findet man darüber hinaus meist erst nach erklecklicher Wartezeit das Ohr eines der anwesenden Spezialisten. Und um die Sache noch beschwerlicher zu machen, wird der stramme Gang zum Ziel, und zwar sowohl vor dem Gebäude als auch innendrin, in kurzen Intervallen immer wieder durch Hostessen unterbrochen (und auch durch Hosts, um der Gleichberechtigung Genüge zu tun), die den armen Besucher mit allerlei Werbematerial eindecken. Gott sei Dank säumen zwischendurch immer wieder Wasserflaschen den Weg, so dass man wenigstens nicht verdurstet.





Gelobte Qualität

Ein besonderes Merkmal der iEX, so die fast einhellige Erfahrung der Aussteller, sei die "Qualität der Kontakte". Darunter versteht die Fachperson letztlich das Verhältnis zwischen der Anzahl Belästigungen durch Messebesucher und der Anzahl konkreter Interessenten, die womöglich schon am Stand kurz vor dem Geschäftsabschluss stehen sollten. Originalzitat eines Ausstellers: "Unser Ziel: 50 Offerten an drei Tagen. Wir hatten schon am ersten Abend 64 Offertanfragen."



An dieser Stelle sei eine Bitte an die Aussteller erlaubt - gilt für alle Messen, nicht bloss für die iEX: Man möge auch die Turnschuhbesucher mit gebührendem Respekt behandeln, sie nicht von vornherein als blosse Prospektsammler abtun und mehr oder weniger schroff vom Stand weisen. Es könnte sich ja um den frühreifen CEO einer Neugründung handeln. Oder um eine Managerin in spe, die schon in wenigen Jahren bei der Evaluation von IT-Systemen die entscheidende Rolle spielt und sich dann mit strikter Ablehnung an den Anbieter erinnert, der sie damals an der Messe nicht ernst genommen hat. Business beschränkt sich heute nicht mehr auf ältere Herren in Nadelstreifen und mit Seidenkrawatte.





IT-Messeszene Schweiz

Die professionellen IT-Messebesucher haben in der Schweiz nun zwei Schwerpunkte im Jahreslauf: Die Orbit/Comdex mit noch etwas schwachbrüstigem Add-On-Programm im Herbst und die Internet Expo mit Vollblut-Kongress im Winter. Das deckt den Bedarf voll und ganz.



Total leer gehen dagegen die Privatuser aus. Nicht nur, dass es seit Jahren keine Fera mehr gibt, an der die neuesten Gadgets bestaunt werden können, nun wurde auch noch der Home-Teil aus der Orbit ausgegliedert, nach Zürich verfrachtet und (mangels Interesse von Ausstellerseite?) prompt um ein Jahr nach hinten verschoben. Ob eine Orbit Home jemals wieder stattfinden wird, steht meines Erachtens noch ziemlich in den Sternen.




Zahlreiche Kleinanwender gehen deshalb trotz dem Business-Image an die iEX, zumal der Begriff Internet nach wie vor einen magischen Nimbus hat und auch der Eintrittspreis mit fünfundzwanzig Franken inklusive Katalog eigentlich erschwinglich bleibt. Die Orbit kostet immerhin das Doppelte.



Die Zukunftsperspektiven sind nichtsdestotrotz hochinteressant. Schliesslich wollen die Messen Zürich und Basel fusionieren. Wo inskünftig welche Messen wann stattfinden, könnte sich in der nächsten Zeit noch stark ändern. Nur eines darf nicht passieren: Der totale Umzug der Orbit von Basel nach Zürich wäre für mich als Wahlbasler die Grauensvorstellung Nummer eins.



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