Ein kleiner Schritt mit teuren Folgen

Während Arbeitssicherheit auf Baustellen ein ständiges Thema ist, wird diese Problematik in Dienstleistungs-betrieben oft vergessen. Das kann teuer werden.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2010/11

     

Dass man an Schneidemaschinen Vorsicht walten lässt und sich auf Baustellen mit Helm und schweren Schuhen schützt, ist selbstverständlich. Viele Gefahren sind aber weniger offensichtlich. Gerade in Dienstleistungsbetrieben: Hier ein loses Kabel, da eine rutschige Treppe oder ein instabil stehendes Gerät – keiner rechnet damit, und schon ist es passiert. Felix Mosers Fall ist so ein Beispiel. Der Informatik-Ingenieur rutschte auf dem frisch geputzten, noch nassen Fussboden aus: «Acht Jahre lang bin ich über diesen Gang gelaufen und nie gefallen.» Aber dann ist es doch geschehen.

Vorsicht, Rutschgefahr


Im grossen Software-Ingenieurbüro, dem Arbeitsplatz von Moser, liegt Teppichboden. Nur ein Gang hinter einer Reihe von Bildschirm-Arbeitsplätzen war zur Zeit des Unfalls noch mit Linoleum belegt. Felix Moser kehrte eines Tages nach einer längeren Besprechung an seinen Schreibtisch zurück. «Ich nahm meine Arbeit wieder auf, und – wie es bei uns häufig ist – es war gerade besonders viel los; ich stand rasch noch einmal auf, um mir Informationen über zwei neue Projekte zu holen.» Er wusste allerdings nicht, dass der Boden in seiner Abwesenheit feucht aufgenommen wurde: Die externe Putz-Equipe hatte vergessen, das Hinweisschild aufzustellen. Moser rutschte aus und fiel so unglücklich, dass er sich die Schulter ausrenkte. Ausserdem hatte er sich mehrere Splitterbrüche zugezogen, wie sich später herausstellte.
«Ein ganz typischer Fall», kommentiert Dr. Serge Pürro, Geschäftsführer der Eidgenössischen Koordinationskommission für Arbeitssicherheit (EKAS). «Gefahren lauern oft dort, wo man sie gar nicht erwartet. Das zeigt auch die Unfallstatistik deutlich: 2007 passierten über 137’000 Unfälle im Dienstleistungssektor – zum Beispiel im Büro, Treppenhaus oder Eingangsbereich. Das sind in absoluten Zahlen fast 30’000 Unfälle mehr als im Produktionssektor. Ein Drittel aller Verletzungen entsteht durch Stolper- oder Sturzunfälle.» Pro 1000 Mitarbeitende im Dienstleistungssektor verunfallen jährlich 50 Personen. Das sind immerhin halb so viele wie in der Produktion, also bei Personen, die mit gefährlichen Maschinen und schweren Geräten umgehen.

Schmerzen und Arbeitsausfall

Da Moser sich vor Jahren bei einem Skiunfall bereits die linke Schulter ausgerenkt hatte und aufgrund der Brüche stand schnell fest, dass eine Operation unerlässlich war. Mit dieser sollte allerdings ein Vierteljahr zugewartet werden, damit sich das Gewebe zuvor erholen konnte. «Direkt nach dem Unfall war ich knapp drei Wochen zu Hause», schildert der 40-jährige Familienvater. In dieser Zeit musste er zu vielen Untersuchungen und begann mit einer Physiotherapie. Anfangs hatte er starke Schmerzen. Und weil zu der ausgerenkten Schulter ein bestehender Bandscheibenvorfall dazu kam, fand er nachts fast keinen Schlaf. Als Mitarbeiter eines Software-Büros muss er jedoch jede Minute konzentriert sein. So war an Arbeiten zunächst nicht zu denken.
Bevor Anfang Dezember die Operation anstand, konnte Moser immerhin doch noch einige Wochen arbeiten. Der Operation folgte wiederum eine knapp sieben Wochen dauernde Arbeitsunfähigkeit. Denn ein Software-Ingenieur kann mit einer Schulterverletzung nur schlecht arbeiten. Pro Stunde müssen – mit der linken Hand – oft mehrere Telefonanrufe entgegengenommen werden, wobei die Schulter jedes Mal ausgedreht wird. Mit dem Blick auf den Monitor muss gleichzeitig die Maus geführt werden. «Das wäre nicht gegangen», erklärt Moser. «Der Arzt warnte mich, dass ich die Schulter so in Nullkommanichts wieder ausrenken werde. Das wiederum würde eine Notfall-OP nötig machen – mit noch längerer Rekonvaleszenz.»

8 Tipps für weniger Unfälle im Dienstleistungsbetrieb
1. Lose Kabel:Kabel so legen, dass keine Stolperfallen und Fangstellen entstehen. Im Gehbereich trittfeste Kabelkanäle legen.

2. Rutschige oder kaputte Böden: Rutschhemmende Beläge einsetzen. Defekte Bodenbeläge fachgerecht flicken lassen. Böden sauber und trocken halten.

3. Glastüren: Glas mit Bändern, Streifen oder Symbolen markieren. Sicherheitsglas verwenden.

4. Treppen: Gut beleuchten, Handläufe anbringen, Stufen mit rutschhemmenden Belägen versehen, kein Materiallager auf Treppen dulden.

5. Gestelle und Regale: Regale an Wand oder Decke befestigen oder gegenseitig verbinden. Schwere Lasten unten lagern. Zulässige Belastung beachten.

6. Elektrische Einrichtungen und Geräte: Defekte Schalter oder Kabel fachmännisch ersetzen respektive reparieren lassen.

7. Steighilfen: Sichere Steighilfen beschaffen und für alle zugänglich halten (zum Beispiel eine Trittleiter).

8. Signalisierte Gefahrenbereiche reduzieren allgemein die Unfallgefahr. Deshalb empfiehlt es sich, Warn- und Sicherheitsschilder aufzustellen.

Umtriebe für alle und hohe Kosten


Moser ist klar, dass nicht er allein der Leidtragende war: «Denn an jedem Tag, den ich fehlte, musste ein Kollege für mich einspringen – und seinen freien Tag opfern. Für den Verantwortlichen war die Diensteinteilung schwierig, da wir zum Teil unregelmässige Arbeitszeiten haben.»
Ein anderer Aspekt sind die Kosten: Über 10’000 Franken Heilkosten und knapp 16’000 Franken Taggelder sind angefallen. Eine hohe Summe – für einen ganz «durchschnittlichen» Unfall. Diese direkten Kosten trägt der Unfallversicherer. Es gilt aber auch die indirekten Kosten zu beziffern. Aus zuverlässiger Quelle respektive Schätzungen weiss man, dass ein Unfall oder eine krankheitsbedingte Absenz ein Unternehmen im Durchschnitt täglich rund 600 Franken kostet. Zu bedenken ist deshalb, dass die Investition in eine präventive Massnahme oft nur einen Bruchteil dessen beträgt, was ein Unfall an Folgekosten nach sich zieht.

Der Arbeitgeber setzt auf Prävention


Heute hat Felix Moser keine Beschwerden mehr in der Schulter. Und er ist guten Mutes, dass er nicht wieder fallen wird: Auch wenn es sich um eine einmalige Panne der externen Putz-Equipe gehandelt hatte, hat sein Arbeitgeber sofort Konsequenzen ergriffen, damit so etwas nie wieder passiert: Das Linoleum wurde durch einen Spannteppich ersetzt.

Gesunde Mitarbeitende schonen das Bankkonto

Gelbe Helme, Schutzbrillen und schwere Stiefel mit Stahlkappen – so schützen sich Bauarbeiter vor Verletzungen durch Geräte, herabfallende Gegenstände und Funken. Das ist vorschriftsgemäss, denn auf Baustellen sind Gefahren offensichtlich. Doch wie sieht es in reinen Bürobetriebe wie etwa Verwaltungen, Banken oder Versicherungen aus?

Herr Pürro, auf einem hohen Gerüst neue Fassadenelemente einzusetzen, ist kein Kinderspiel. Hier sind Sicherheitsmassnahmen unabdingbar. Sind Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz denn auch im Dienstleistungssektor ein Thema?
Serge Pürro: Unbedingt, denn Gefahren lauern oft da, wo man sie gar nicht erwartet. Zwar sind Unfälle im Büro oft weniger gravierend, doch die Unfallstatistik zeigt deutlich, dass es für Arbeitssicherheit und den Gesundheitsschutz auch im Büro eine Menge zu tun gibt. Der Dienstleistungssektor ist in den letzten Jahren stark gewachsen. Oft wird vergessen, dass auch Gewerbe- und Industriebetriebe neben der Produktion alle eine Administration haben. Der Dienstleistungssektor ist also schon rein mengenmässig bedeutsam. Themen wie Ergonomie, Raumklima und Arbeitsorganisation sind heute genauso wichtig wie Schutz vor Stürzen oder Gefährdungen im Umgang mit Geräten.


Welche Unfälle passieren denn in Dienstleistungsbetrieben am häufigsten?
Ein Drittel aller Verletzungen entsteht durch Stolper- oder Sturzunfälle. Die Gründe dafür sind vielfältig: ungeeignete oder defekte Bodenbeläge, nasse, rutschige Böden, unerwartete Schwellen oder Stufen, hochstehende Teppichkanten, abgestelltes Material auf Treppen, fehlende Handläufe, schlechte Beleuchtung, lose Kabel, Türen aus Klarglas.
Zudem nehmen Rückenbeschwerden, Verspannungen, Sehnen- und Muskelleiden stark zu, verursacht durch falsch platzierte Bildschirme, schlecht eingestellte Bürostühle und -tische, Überbelastung beim Heben oder Tragen von Lasten. Die Liste der Ursachen ist lang.
Auch fahrlässiges Verhalten der Mitarbeitenden führt immer wieder zu Unfällen mit schweren Verletzungen. Wer etwa auf einen Bürodrehstuhl mit Rollen steigt, um im obersten Fach einen Ordner zu greifen, riskiert tatsächlich Kopf und Kragen.

Arbeitsbedingte Unfälle verursachen nicht nur menschliches Leid, sie führen auch zu Problemen im Betrieb. Können Sie beziffern, wie viel ein einziger Unfall das Unternehmen kostet?
Ausfälle von Mitarbeitenden wiegen vor allem für KMU schwer. Die Arbeit bleibt liegen, oder andere Mitarbeitende müssen Überzeit leisten. Im schlimmsten Fall geht ein Kunde verloren, ein Auftrag wird nicht termingerecht erledigt. So gesehen kostet jeder Unfall den Arbeitgeber täglich rund 600 Franken. Und die hat er in der Regel selber zu tragen.

Wie hilft die EKAS den Arbeitgebern konkret?
Mit Kampagnen wollen wir grundsätzlich einmal anregen und sensibilisieren. Den konkreten Handlungsbedarf und die entsprechenden Massnahmen muss dann das Unternehmen mit unserer Hilfe individuell definieren. Da ist zum Beispiel der interaktive Kurs auf unserer Website sehr nützlich. Oder unsere Broschüre «Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz für KMU-Betriebe des Dienstleistungssektors». Es lohnt sich auf alle Fälle, denn jeder Unfall am Arbeitsplatz verursacht menschliches Leid und belastet das Geschäftskonto erheblich. Durch gezielte und koordinierte Massnahmen lässt sich beides deutlich verringern. Und davon profitieren Arbeitnehmer und Arbeitgeber, Wirtschaft und Gesellschaft.

EKAS
Die EKAS (Eidgenössische Koordinationskommission für Arbeitssicherheit) wurde 1983 mit dem Ziel gegründet, Arbeitnehmende vor Berufsunfällen und Berufskrankheiten zu schützen und für die einheitliche Anwendung der Sicherheitsvorschriften in den Betrieben zu sorgen. Die Kommission wird von einem Vertreter der Suva präsidiert und besteht aus fünf Vertretern der Versicherer (Suva, Privatversicherer, Krankenkassen) und aus Vertretern des Seco und der Kantone. (abr)


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