Wie ein Gaming-Keyboard die Büro-Tastatur ersetzt hat
Quelle: Wooting

Wooting 60HE

Wie ein Gaming-Keyboard die Büro-Tastatur ersetzt hat

Der Autor hat bisher zwei Tastaturen genutzt: Eine fürs Büro, eine fürs Gaming. Bis die eine Tastatur kam, sie alle zu knechten.
11. November 2023

     

Was macht die perfekte PC-Tastatur aus? Die Antwort ist für jeden unterschiedlich und entscheidend abhängig vom Use Case. Aber manchmal stösst man in den Un­tiefen des Hardware-Dschungels eben auf Gold. Und dann gibt’s kein Zurück mehr.

Der Tester der nachfolgend vorgestellten Tastatur des niederländischen Herstellers Wooting hatte über Jahre hinweg ein Zwei-Tastaturen-Setup im heimischen Office. Will heissen: Eine Büro-Tastatur im 100-Prozent-Layout (mit Pfeiltasten und Nummernblock) sowie eine Gaming-Tastatur mit mechanischen Schaltern (siehe Box zu Schaltern/Switches) und deutlich weniger Tasten im 60-Prozent-Layout (siehe Box zu den verschiedenen Layouts). Den Tag durch lag die Office-Tastatur vor dem Screen, in den Abendstunden wich diese oft der Gaming-Tastatur.


Doch schon eine Woche, nachdem ­­die Wooting-Tastatur (ebenfalls 60-Prozent-Lay­out) auf dem Schreibtisch landete, verschwand die Office-Tastatur im Schrank – trotz dem Mangel an einigen recht wichtigen Tasten für die tägliche Arbeit. Wir kommen gleich drauf zurück.

Tastaturgrössen und -Layouts

Quelle: Depositphotos
Die heute wohl gängigsten Tastatur-Layouts sind 60-, 80- und 100-Prozent-Ausführungen. Letztere ist sicher die bekannteste: Die reguläre Bürotastatur mit Nummernblock rechts, Pfeiltasten und der F-Tasten-Reihe oben (104 Tasten, blau). 80-Prozent-Layouts (87 Tasten, grün) lassen im Prinzip nur den Nummernblock weg, haben aber noch F- und Pfeiltasten. Die kleinste handelsübliche Ausführung ist das 60-Prozent-Layout (61 Tasten, orange). Dieses kommt ohne F-Tasten, ohne Pfeiltasten und die darüberliegenden Tasten (Delete, Page Up/Down etc.) aus. Sinn und Zweck der kleineren Tastaturen ist – neben persönlichen Vorlieben – vor allem der gewonnene Platz auf dem Schreibtisch, um beim Gaming mehr Platz für die Maus zu haben.

Der Hersteller: Wooting

Kurz zur Historie: 2015 schlossen sich drei junge Holländer zusammen, um die beste Gaming-Tastatur zu entwickeln, die es ab Stange zu kaufen gibt. 2016 startete man mit einem ersten Prototyp eine Kickstarter-Kampagne (Wooting One mit 80-Prozent-Layout), 2018 initiierte eine weitere Kickstarter-Kampagne die Produktion einer 100-Prozent-Version (Wooting Two), 2019 wurde der hauseigene mechanische Lekker-Switch lanciert.


2022 schliesslich kam die nachfolgend vorgestellte 60-Prozent-Version (Wooting 60HE) zum Lineup hinzu. Spätestens seit diesem Zeitpunkt schlägt Wooting in der Gaming-Community auf der ganzen Welt hohe Wellen. Zum Zeitpunkt des Tests besteht das Keyboard-Portfolio von Wooting aus der Wooting Two HE (100%) und der Wooting 60HE (60%).

Die Äusserlichkeiten

Optisch kommen die Wooting-Keyboards schnörkellos daher. Es gibt (fast) keinen Schnickschnack und keine Zusatz-Buttons für die Audio-Steuerung oder ähnliches. Letztlich ist es Geschmacksache, ob man das mag. Anzumerken ist aber, dass die Steuerungstasten nicht fehlen, sie sind bloss geschickt versteckt.

Zusätzlich gibt’s im Lieferumfang das zugehörige USB-C-Kabel sowie eine Schlaufe, die seitlich am Keyboard montiert werden kann. Letztere ist der einzige Schnickschnack an der Wooting 60HE, der ehrlichweise recht überflüssig ist und beim Tester alsbald wieder demontiert wurde.


Die Tastaturen sind in zwei Farbausführungen zu haben. Die Basis (das Case) ist immer Schwarz, die Tastaturkappen (Keycaps) gibt’s ab Stange in Weiss oder Schwarz. Zahlen muss man für die 100-Prozent-Version 163 (Schwarz) oder 187 Franken (Weiss), für die Ausführung mit 60-Prozent-Layout werden 155 (Schwarz) respektive 179 Franken (Weiss) fällig. Das ist nicht billig für eine Tastatur, aber nicht mehr, als man für andere qualitativ hochwertige Gaming-Keyboards mit mechanischen Switches hinblättert.

Die Tastaturkappen kommen bei der getesteten 60HE in Weiss übrigens separat und müssen selbst aufgesetzt werden. Kein grosses Opfer, aber doch ein paar Minuten Extraaufwand für den Spass. Einen Abzug gibt’s an dieser Stelle aber nicht mal für die Mehrarbeit, sondern für den Abfall: Auch bei der 60-Prozent-Version bekommt man alle über 100 Tastaturkappen für die grosse Version mitgeschickt.

Einen weiteren Abzug gibt’s für die verfügbaren Sprach-Layouts, denn ein Schweizer Layout gibt’s nicht – der Markt ist wohl zu klein. Man muss sich mit dem Layout für ein anderes Land anfreunden oder das Problem mit neuen Keycaps umschiffen.

Was uns im Test zwar nicht gestört hat, aber für den einen oder anderen wohl ein Minuspunkt sein dürfte, ist der Fakt, dass das Case keine verstellbaren Füsschen bietet. Persönlich mögen wir, dass damit weniger klappernde, bewegliche Teile an der Tastatur zu finden sind. Einige Nutzer werden sich aber daran stossen, dass der Winkel der Tastatur nicht verstellbar ist.


Das Herzstück: Der Lekker-Switch

Spektakulär wird’s bei Wooting aber erst, wenn man unter die Oberfläche schaut. Denn mit dem hauseigenen Lekker-­Switch geht Wooting über den Industriestandard bei mechanischen Switches hinaus. Diese bieten in aller Regel nur zwei Zustände: Der Schalter ist gedrückt oder eben nicht – ein oder aus.

Der Wooting-Switch arbeitet derweil mit kontaktlosen Magneten. Damit wird permanent in 0,1-Millimeter-Schritten gemessen, wie weit der Schalter gerade durchgedrückt ist. So kann konfiguriert werden, wie sensibel der Schalter sein soll. Man kann in der zugehörigen Software also einstellen, ob der Schalter bei der kleinsten Berührung schon als gedrückt gilt, oder ob man diesen über volle 4 Millimeter durchdrücken muss (und natürlich alles dazwischen). Zweitens – für den Bürogebrauch aber völlig irrelevant – kann man den Schalter nur teilweise durchdrücken, um in kompatiblen Videospielen beispielsweise langsam zu fahren, statt Vollgas zu geben. Weiter lassen sich dank der Magnet-Technologie wahrlich fortgeschrittene Tasten-Setups konfigurieren. Die sehr nerdigen Details würden hier den Rahmen sprengen, wer im Gaming-Bereich aber höhere Ansprüche hat, kann einfach mal «Wooting Rapid Trigger» in die Suchmaschine eintippen. Das Feature ist beeindruckend und funktioniert fantastisch.


Verfügbar sind bei Wooting zwei verschiedene Lekker-Switches mit mittlerem (L60) und leichtem Druck (L45). Im Testexemplar sind die 60L-Switches verbaut. Wir können mit gutem Gewissen sagen, dass wir nie einen angenehmeren Switch unter den Fingern gespürt haben. Der Druck ist optimal und mit dem dynamisch einstellbaren Auslösepunkt kann die Tastatur genau auf die eigenen Tipp- und Gaming-Bedürfnisse eingestellt werden. Übrigens auch für jede einzelne Taste separat, falls das gewünscht ist. In puncto Switches können wir bedingungsloses Lob aussprechen.

Mechanische vs. Rubberdome-Schalter

Quelle: Wooting
Der Tastaturmarkt bietet im Wesentlichen zwei Optionen für Schalter (auch Switches genannt): mechanische und Rubberdome­Schalter. Bei den in den meisten Office-­Tastaturen verbauten Rubberdome­Switches liegt ein Gummibett unter der Tastaturkappe, bei den mechanischen Schaltern gibt es dort einen Führungsmechanismus und eine Feder. Rubberdomes sind leise und günstig, dafür ist der Anschlag unzuverlässiger und über die Jahre nicht konsistent. Mechanische Tastaturen hingegen sind genauer, schneller, langlebiger und verändern diese Eigenschaften über die Jahre hinweg kaum. Dafür sind sie teurer und haben je nach Bauart manchmal lautere Tastenanschläge. Die Lekker-Switches von Wooting (Bild) sind im Vergleich zu anderen Modellen aber relativ leise.

Customizing – Hardware

Mitunter ein Vorteil von Gaming-Gear sind die oft vielfältigen Optionen fürs Customizing. Bei der Wahl der Keycaps leidet man als Schweizer wie erwähnt ein bisschen – die Auswahl wird bei Schweizer Sprach-Layouts entscheidend kleiner –, aber ganz aufgeschmissen ist man nicht. Der taiwanische Hersteller Tai-Hao ist etwa einer der wenigen Hersteller, die kompatible Schweizer Layouts verkaufen. Damit hat das Testobjekt heute ein vollwertiges Schweizer Layout mit hübscher Farbnote.

Weiter lassen sich die Schalter unter den Keycaps austauschen, falls diese kaputt gehen sollten oder ein anderes Druckniveau gewünscht wird. Diese kosten im 12er-Pack 9 und im 70er-Pack 33 Franken. Benötigt wird dazu aber noch ein Werkzeug-Set (Keyboard Switch Toolkit) für 14 Franken.


Auch gibt es das Case der Tastatur in einer eleganten Alu-Ausführung. Diese ist in Schwarz, Grau, Blau und Lila für 106 Franken zu haben. Ausserdem kann man im Zubehör-Shop hübschere Kabel (45 Franken), eine Ablage fürs Handgelenk (25 Franken) und ein Travel Case (24 Franken) erwerben.

Wer sein absolutes Traum-Keyboard zusammenbasteln will, kann also problemlos das Doppelte vom Basispreis loswerden. Und wer richtig in die Tiefe ­gehen will, findet online zahlreiche Keyboard-Modder, die ihre Wooting-­Tastaturen liebevoll gestaltet haben. Besonders gefallen haben uns etwa CNC-gefräste Holz-Cases.


Customizing – Software

Recht nervig an Gaming-Hardware ist nicht selten die Software. Bei diversen Herstellern läuft diese permanent im Hintergrund, damit die Settings und die RGB-Beleuchtung auch wirklich funktionieren. Nötig ist das aber nicht, wie Wooting beweist. Denn Wootility, so der Name der Konfig-Software, gibt’s zwar als Applikation, man kann wahlweise aber auch einfach die Web-App nutzen. Man besucht also wootility.io, konfiguriert das Keyboard und schliesst die Page wieder – fertig (funktioniert mit der App genau gleich). Die Einstellungen werden auf der Tastatur selbst gespeichert. Keine Hintergrundprozesse, kein Autostart, keine Probleme mit ausstehenden App-Updates, kein Ärger.


Die Software überzeugt mit einer benutzerfreundlichen und sehr gut erklärten Oberfläche. Trotz des massiven Feature-­Umfangs findet man sich gut zurecht und bekommt alle noch so komplizierten Settings verständlich erklärt.

Und wo sind die F-Tasten?

Erwähnenswert ist an dieser Stelle die Konfiguration der Funktions-Layers. Denn, wie erwähnt, fehlen beim pragmatischen Design jegliche zusätzliche Funktionstasten (z.B. Lautstärkeregelung) – auch bei der 100-Prozent-Ausführung. Über die FN-Taste kann eine zweite (und via FN + Caps Lock gar eine dritte) Ebene konfiguriert werden. Wie man das von Laptops kennt, können Tasten so mit weiteren Funktionen belegt werden. Bei der 60-Prozent-Version lassen sich so etwa die F-Tasten auslösen (FN + 1 = F1 etc.). Wahrlich elegant ist auch, dass eine Taste zwei unterschiedliche Befehle ausführen kann, wenn sie getippt oder gehalten wird, was speziell beim 60-Prozent-Layout praktisch ist und etwa eine Doppelbelegung für die Shift-, Ctrl- und FN-Tasten zulässt, die man nur halten kann.


Insgesamt lassen sich vier Nutzerprofile speichern, bei denen die Beleuchtung, die Funktions-Layer, das Verhalten der Switches und viele weitere Einstellungen konfiguriert werden können. Der Wechsel zwischen den Profilen erfolgt mit einer Tastenkombination. Und das funktioniert erstaunlich gut – trotz deutlich weniger Tasten fehlt uns nichts. Dass Wootility aussergewöhnlich benutzerfreundlich und die Konfiguration so einfach ist, komplettiert die Usability-Top-Note.


Auch fürs Büro geeignet

Wie eingangs erwähnt: Seit dem Kauf der Wooting-Tastatur hat das Office-Keyboard ausgedient. Es macht einfach mehr Spass, damit zu tippen. Und erst recht, damit zu spielen.

Bei der getesteten Wooting 60HE muss man sich zwar einen Moment an die Arbeit mit den Funktions-Layern gewöhnen, was aber innerhalb einer guten Woche schon ins Blut übergegangen ist. Wer nicht ohne Nummernblock auskommt, kauft sich entweder einen separaten (da gibt’s ebenfalls hübsche Exemplare auf dem Markt) oder setzt auf die 100-Prozent-Version Wooting Two HE.


Wenn man in einer Tastatur «einfach nur eine Tastatur» sieht, hat man wohl so oder so kaum bis hierhin gelesen. Wenn man aber Freude an enorm hochwertiger Hardware gepaart mit schlauer Software hat, seine Tastatur fürs Office und fürs Gaming nutzen will oder sogar noch Spass am Basteln und Customizen hat, kann (in den Augen des Testers: sollte) man das Wooting-Keyboard auf die Weihnachtswunschliste setzen.

Fazit

Die Wooting 60HE ist eine hervorragende Tastatur. Die Hardware ist stark, dank den Lekker-­Switches gewissermassen einzigartig und das Keyboard lässt sich nach Belieben den eigenen Bedürfnissen anpassen. Die zugehörige Software Wootility bietet zahlreiche schlaue und mitunter beeindruckende Einstellungsmöglichkeiten, ein tolles UI und muss dabei nicht mal installiert werden. Kleinere Abzüge gibt’s für Einschränkungen bei der Wahl der Sprach-Layouts und der Ergonomie.

Positiv
+ ausgezeichnete Hardware
+ konfigurierbare, innovative mechanische Magnet-Switches
+ übersichtliche Software ohne Installationszwang und Hintergrundprozesse


Negativ
- keine Möglichkeiten ab Stange für Ergonomie-­Customizing
- nicht mit Schweizer Sprach-Layout zu haben
- Keycaps-Abfall bei 60-Prozent-Ausführung

Hersteller/Anbieter
Wooting

Preis
Fr. 179.–

Wertung
Funktionalität 6 von 6 Sternen
Bedienung 5,5 von 6 Sternen
Preis/Leistung 5,5 von 6 Sternen
Gesamt 5,5 von 6 Sternen



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