Desktop 2.0: Herausforderung nicht nur für IT-Spezialisten

Mittels Desktop-Virtualisierung lassen sich Kosten senken und das IT-Umfeld modular gestalten. Hürden liegen dabei vor allem auch in der betrieblichen Organisation.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2008/14

     

Der Megatrend Virtualisierung gehört nach Auffassung der Marktanalysten von IDC schon in wenigen Jahren zur Commodity in der IT. Neben Servern und der sonstigen Infrastruktur sieht Gartner das neue Zauberwort in der Desktop-Virtualisierung, das zumeist mit Begriffen wie Software as a Service (SaaS) oder Software on Demand einhergeht. Die Anbieter propagieren flexible Nutzungsmodelle à la Web 2.0, mittlerweile nicht nur für Geschäftsanwendungen, sondern auch für den privaten User.


So wirbt etwa Nivio (www.nivio.com) mit einer online-basierten Windows-Umgebung, GOPC (www.gopc.net) mit einem komplett Linux-basierten Desktop. Magix (www.mygoya.de) offeriert sogar einen Online-Desktop mit eigenem OS. Die Zahl der Anbieter hat erheblich zugenommen, neben bekannten Grössen wie Google Docs vermarkten auch zahlreiche Nischenanbieter wie das israelische Unternehmen G.ho.st. webbasierte Anwendungen (http://g.ho.st).



Aber: Der Betrieb läuft zumindest beim privaten Anwender nicht immer reibungslos an oder die Bandbreiten sind nicht ausreichend, um den Ersatz der lokalen Umgebung überhaupt ohne weiteres zu rechtfertigen. Denn auch PCs bis hin zu Mini-Notebooks sind erheblich leistungsfähiger geworden. Zudem ist das Spektrum der Anwendungen gross, weshalb gerade der User im Unternehmen am Ende der komplexen Prozesskette in einer virtualisierten Infrastruktur etwas verloren dasteht.


Die IT-Landschaft gestaltet sich dadurch noch unübersichtlicher. Zudem funktionieren in der virtuellen Welt die Abstimmungs- und Übergabeprozesse nicht immer. Hinzu kommt, dass der Service oftmals nur auf dem Papier als billig erscheint. So ist das von Theodo (www.theodo.com) auf berufliche Anwender ausgerichtete «OnDemandOffice» immerhin für den stolzen Preis von rund 120 Euro pro Monat zu mieten.


Stimmt die Lösungsformel «kostengünstig und leistungsfähiger»?

Bei komplexeren Anwendungen oder einem Produktbündel, bestehend etwa aus kombinierten ERP- oder CRM-Systemen, können monatlich leicht vierstellige Beträge zusammenkommen. Hier gilt es also, mit spitzem Bleistift zu rechnen und alle vor- und nachgelagerten Ko­-s­ten genau aufzulisten. Doch trotz einiger noch unausgegorener Aspekte: Die Experten sind sich darüber einig, dass die überall verfügbare Arbeitsumgebung ein heisser Trend bleibt.


So propagiert Marktführer Vmware bereits einen «virtuellen Desktop für die Hosentasche». Microsoft setzt auf ihre gerade mit einem neuen Servicepack versehene kostenlose Lösung Virtual PC 2007, will aber andererseits nicht vorschnell auf den neuen Zug aufspringen, der möglicherweise sinkende Gewinnmargen nach sich ziehen könnte. Im Kern treten etablierte Anbieter zwar gegen Open-Source-Modelle an, aber die Riege der Lösungsmodelle durchmischt offene und proprietäre Konzepte, was die Auswahl und das Schnüren zum Lösungskonzept erschwert.



So favorisiert etwa Knoppix ein festplattenloses Linux-Live-System, inklusive 3-D-Desktop Beryl, der am Boot-Prompt startet. Dieser soll immerhin bis zu sechs verschiedene Virtualisierungslösungen integrieren; von Qemu und Virtualbox über Xen bis hin zu neuen Kernel-basierten Maschinen sowie OpenVZ beziehungsweise VServer. Zudem sollen optimierte Tools die WLAN-Konfiguration erleichtern und die Installation auf der Festplatte vereinfachen.


Auf dem Markt vertreten ist auch Xandros, der Hersteller von Linux-Distributionen für Desktop und Server. Nach wie vor ist aber vor allem VMware die gesetzte Grösse auf diesem Markt. Mit ThinApp 4.0 stehen Windows-Programme in Kürze auf einem handlichen USB-Stick verpackt bereit. Aber auch SWsoft mit ihrem Admin-Tool der Virtuozzo Management Console dürfte Marktanteile erobern, da sich nicht nur OpenVZ-Umgebungen steuern lassen, sondern auch jene von VMware und Xen.


Sind die Heilsversprechen realistisch?

Ob sich aber mit Hilfe der Desktop-Virtualisierung tatsächlich durchgängig Kosten senken lassen und Abläufe effizienter abzuwickeln sind, bleibt umstritten. Die Hersteller werben zumindest recht plakativ damit. Einerseits könnten die Unternehmen sicherlich die Administrationskosten reduzieren. Andererseits sind derartige Projekte mit Blick auf die organisatorischen Risiken und Nebenwirkungen nicht zu unterschätzen, und das eine oder andere anvisierte Szenario könnte sich rasch wieder in Luft auflösen.


Insbesondere gilt es dabei, die Management-Systeme und -Netze sowie das Konsolenbetriebssystem der Virtualisierungs-Server umfassend gegen Schwachstellen abzusichern. Denn das von Herstellern wie Vmware, aber auch Xen immer wieder vorgebrachte Argument, die neue Umgebung sei wesentlich sicherer als die alte, lässt sich bei genauerer Betrachtung wohl kaum aufrechterhalten. Die Verantwortlichen sollten sich deshalb fortlaufend über relevante aktuelle Schwachstellen informieren.



Aber auch die Hersteller sind aufgefordert, ihr virtuelles Desktop-Konzept noch krisenfester zu machen, etwa durch eine eindeutige, fälschungssichere und nicht auslesbare Identifizierung rund um die jeweils berechtigte Person. Dies geschieht zum Beispiel über eine Art Ausweiskontrolle, bei welcher erst hinterher der Zugriff auf die jeweiligen Anwendungen und persönlichen Daten gewährt wird, möglich wären zukünftig sicherlich auch biometrische Kontrollen. Daneben gibt es zudem technische Schwachstellen, die immer wieder in Fachkreisen zirkulieren, aber auch in Hackerkreisen als Exploits kursieren.


Dezentrales Management erfordert hohe Professionalität

Etwas unterbelichtet erscheint angesichts der unübersichtlichen Lösungsbündel insgesamt jedoch weniger der technische Part, der durchaus lösbar erscheint. In den Fokus rückt vor allem die innerbetriebliche Organisation, einschliesslich derjenigen der externen Partner, Zulieferer und Kunden. Als Innovationsbremse für eine umfassende Virtualisierung der Desktop-Umgebung wirkt sich gerade in der IT-Abteilung die damit verbundene Angst um den Arbeitsplatz aus.


Im Klartext: Virtualisierung auf dem Desktop wird als Arbeitsplatzkiller empfunden. Oftmals fühlen sich Administratoren in der virtualisierten Welt ohnehin plötzlich als überflüssiges Glied im Unternehmen. Stimmt die Akzeptanz in den weit verzweigten Fluren im Unternehmen nicht, könnten einzelne Mitarbeiter die gesetzten Standards von innen heraus torpedieren. Die technischen Möglichkeiten dazu sind wie bei jedem anderen System auch in der Virtualisierung vorhanden.



Als weiterer Fallstrick kommt die Tendenz zum Outsourcing hinzu, das ein hohes strategisches Konfliktpotential im Unternehmen birgt. Denn Sicherheit und Mobilität sind beim virtualisierten Desktop-Management nicht mehr zentral gesteuert. Sprich, der Betrieb und die leitenden Angestellten verlieren ihre übergeordnete Kontrollfunktion. Ein Wandel in der Unternehmenskultur in Richtung dezentrale Prozesssteuerung ist demzufolge eine notwendige, aber nicht leicht umzusetzende Begleiterscheinung.


Andererseits entfällt im Zuge der Virtualisierung etwa aufwendiger Plattenplatz für Back-up-Systeme. Gerade bei einer vertrieblich ausgeprägten Organisationsstruktur und flexiblem Teamwork bringt sie deshalb entscheidende Vorteile. Um den Bedürfnissen nach Sicherheit, aber auch Skalierbarkeit nachzukommen, setzen Branchengrössen wie Sun Microsystems auf modulare Desktop-Konzepte. Denn die Bedienung sei auch für Ungeübte einfach. Benötigt werden dazu auf dem Bildschirm nur eine Browser-sunktion, HTTPS und Java-Unterstützung. Durch die Integration von Parallelwelten lässt sich sogar die komplette Desktop-Umgebung betriebssystem- und applikationsseitig ins Rechenzentrum verlagern und dort ausführen. Die entsprechende Software ermöglicht von jedem beliebigen Client aus den Zugriff auf beliebige Anwendungen unter Solaris, Unix, Linux, Java, Windows, AS/400 und Mainframe. Der Xen Hypervisor bildet ausserdem einen weiteren Schritt in der Paravirtualisierungstechnologie.


Für Unternehmen interessant sind vor allem die kombinierten Möglichkeiten, wenn etwa die beiden Elemente der Ultra Thin Clients sowie der Secure-Global-Desktop-Technologie mit jenen der virtualisierten Desktops verschmelzen. Dies könnte ein Weg sein, den Experten auch wirtschaftlich als attraktiv einschätzen.


Dreidimensionaler mobiler Mini-Desktop kommt

Gemeinsam mit Intel hat Red Hat ein virtuelles Betriebssystem angekündigt, das neben niedrigen Administrationskosten auch auf die geringere Verwundbarkeit der Desktops zielt. Zu den Vorreitern, die der Abschaffung des lokalen PC den Boden bereiten wollen, sind die Branchen Telekommunikation, Finanzdienstleister und Automotive zu rechnen. Die Treiber im Markt sind jedoch vor allem mobile Anwendungen.


Schliesslich lässt sich der virtuelle Desktop relativ bequem auch auf kleinere Endgeräte wie PDAs portieren. Immerhin will Vmware die sichere Arbeitsumgebung des Anwenders mit seiner Enterprise-Lösung sogar auf einen USB-Stick packen. Auch integrierte Sprachfunktionen machen Fortschritte. So gibt es aus dem Open-Source-Umfeld die Betaversion eines Voice-Box-Klienten zu bestaunen (www.vbox-client.de).



Insbesondere im Bereich Automotive kommt es bei der virtuellen Konstruktion und dem Zusammenspiel der Projektteams auf eine dreidimensionale Arbeitsumgebung an, bei der räumliche Flexibilität ein absolutes Kriterium darstellt und bei der die IT keinen Stolperstein bilden darf. Aus Sicht der Anwender erfordert dies zwingend die Wahlfreiheit beziehungsweise Plattformunabhängigkeit zwischen Linux, Windows oder Unix.


Neue Lizenzmodelle erst in Ansätzen greifbar?

Man braucht angesichts der Produktschwemme von Herstellern wie BladeLogic, Citrix, SWSoft, Virtual Iron Zeus oder Vmware ohnehin kein Prophet zu sein, um die neuen Herausforderungen für die IT-Spezialisten vorauszusehen.


Zwar wird es für die Anwender einfacher, im Zuge der Desktop-Virtualisierung mit einem Flatrate-Modell bei den jeweiligen Anwendungen zu kalkulieren. Sobald aber ein Mix unterschiedlicher Anwendermodelle auftritt, etwa durch OnSite-Komponenten, steigt der Messaufwand. «Damit wird auch die Kontrollierbarkeit und Kalkulierbarkeit schwieriger», gibt IDC-Analyst Rüdiger Spiess zu bedenken. Folglich seien zusätzliche Instrumente erforderlich, die genaue Auskunft über die Nutzung der Softwarefunktionen beziehungsweise die Endanwender geben, empfiehlt der Experte.



Die Virtualisierung weicht sukzessive die bisher gängigen Lizenzmodelle auf, obwohl sich dieser Prozess mit dem Schlagwort «Software as a Service» (SaaS) nur unzureichend beschreiben lässt. Etwas unübersichtlich fällt vor allem die Zuordnung der Ressourcen aus. Sprich, die Hardware gehört einer Organisation und die Software einer anderen, was eine genaue Abgrenzung der Eigentumsrechte beziehungsweise Zuständigkeiten erforderlich macht.


Dem Lizenzdschungel entgegensteuern

Fazit: Nur abzuwarten, was auf die Unternehmen im Zuge der Virtualisierung der alltäglichen Arbeitsumgebung zukommt, reicht leider nicht aus. Die Unternehmen benötigen mit Blick auf ein proaktives Management in jedem Fall eine Lösung zur Inventarisierung der auf den Endgeräten installierten Software. Einige Lizenzmodelle erfordern zudem die Ermittlung der Softwarenutzung oder von Hardwareeigenschaften. Damit kann der Kunde einen guten Überblick gewinnen, welche Soft- und Hardware überhaupt wo genau vorhanden ist.


Zudem gilt es, die vorhandenen Lizenzverträge proaktiv zu sammeln und für neue Lizenzmodelle gemeinsam mit den IT-Verantwortlichen eine umfassende Ermittlung des Lizenzbedarfs durchzuführen. Da ein manuelles Lizenzmanagement jedoch sehr schnell an seine Grenzen stösst, raten Experten zum Überblick mit Hilfe einer zentralen Lizenzmanagement-Lösung, was sich gerade bei der Mixtur unterschiedlicher Konzepte als Vorteil erweisen kann, um im Zuge der Virtualisierung von Servern, Storage und eben dem Desktop keinen allzu ausufernden «Lizenzdschungel» zu generieren.



Mit Blick auf die künftige heterogene Lizenzlandschaft sollten Unternehmen vor allem darauf achten, dass die Lösung über ein offenes und einfach zu erweiterndes Regelwerk zum Abbilden der unterschiedlichen Lizenzmodelle verfügt, um den organisatorischen Wildwuchs zu vermeiden. Idealerweise bietet die Lösung auch die Möglichkeit, neue Lizenzmodelle und Vertrags-Templates per Download bereitzustellen. Gut organisiert dürfte sich aber auch die Desktop-Virtualisierung als eine weitere Unterart dieses Megatrends in die IT-Umgebung einführen lassen und sowohl Administratoren als auch Endusern das Leben etwas erleichtern.




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