CIO-Interview: «Manchmal lohnt es sich, zu hinterfragen»
Quelle: Raiffeisen
Schweiz

CIO-Interview: «Manchmal lohnt es sich, zu hinterfragen»

Raiffeisen-CIO Damir Bogdan erklärt im Interview, warum die Bank kein Outsourcing betreibt, warum er keine «Freestyle-IT» will und wie er mit unzufriedenen Bankleitern umgeht.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2013/06

     

Swiss IT Magazine: Welchen Aspekt der Raiffeisen würden Sie aus Informatikersicht aktuell als am spannendsten bezeichnen?
Damir Bogdan:
Am spannendsten ist sicher das Kundengeschäft, denn da ist die Interaktion am höchsten. Die grösste Herausforderung liegt aktuell aber in der regulatorisch-politischen Ebene, mit den ganzen Veränderungen, die es momentan im Bankengeschäft gibt, und dem gesamten Schweizer Bankenmarkt, der sich verändert. Stichworte sind etwa der automatische Datenaustausch, die noch ungelösten Fragen im Zusammenhang mit den USA, das Thema Abgeltungssteuer und einiges mehr.

Ist das auch der Teil, der Ihnen am meisten Kopfzerbrechen bereitet?
Das ist sicher so, vor allem auch deshalb, weil die Dinge hier schwer vorhersehbar sind und entsprechend kaum budgetiert werden können. Wir versuchen jeweils, möglichst strukturiert und mit klar definierten Budgets ins Jahr zu gehen. Dann aber kommen regelmässig regulatorische Projekte, die Geld und Zeit verschlingen und die nicht vorhergesehen werden können.


Wie weit ist die IT denn von diesen regulatorischen Anforderungen jeweils betroffen?
Wir sind eine Bank, und in einer Bank ist die IT in jeden erdenklichen Business-Prozess involviert – gerade auch bei regulatorischen Fragen. Wenn es beispielsweise darum geht, wer wie viele Kunden aus welchem Land in welchem Zeitraum übernommen hat, ist das abwicklungstechnisch eine reine Informatikangelegenheit. Im besten Fall können Sie solche Daten vollautomatisiert ausgeben, im schlechtesten Fall ist aber viel Handarbeit gefordert.
Wie stark können Sie angesichts solcher Projekte noch Informatiker sein?
Solche Projekte laufen nicht in der Informatik, sondern mit der Informatik. Der Lead liegt in den jeweiligen Fachbereichen. Ich kann aber sehr wohl noch Informatiker sein, denn wir machen noch viele andere Dinge abseits von regulatorischen Bestimmungen. Sehen Sie, in jeder Informatik gibt es endogene und exogene Faktoren, welche die IT verändern. Exogene Faktoren sind solche neuen Regulatorien. Aber auch Updates, zu deren Roll-out ich aus Garantiegründen gezwungen bin, sind Faktoren, bei denen ich fremdgesteuert bin und mich anpassen muss. Dann gibt es endogene Faktoren. Zu denen zählt, dass wir unsere Infrastruktur auf einem aktuellen Stand halten müssen. Ein Beispiel: Unsere Systeme im Zahlungsverkehr sind heute auf eine Million Transaktionen pro Stunde ausgelegt. Ende April haben wir im E-Banking 15 Zahlungserfassungen pro Sekunde gemessen. Das schafft man nicht mit veralteter Infrastruktur. Es gibt also sehr viele Informatikaufgaben, nur schon um die Bank am Laufen zu halten. Und dabei habe ich noch keine einzige fachliche Erweiterung umgesetzt, noch keine Business-Idee unterstützt und dem Kunden noch nichts Neues geboten. Sie sehen – um auf Ihre Frage zurückzukommen – man kann noch immer viel bewegen in der IT, trotz immer neuer regulatorischer Bestimmungen.


Sie sehen also keine Gefahr, dass die fremdgesteuerten Faktoren überhand nehmen, und Sie nur noch am Reagieren statt am Agieren sind?
Ich sage es mal so: Manchmal lohnt es sich, ein wenig abzuwarten und zu hinterfragen, bevor man alles umsetzt. Vieles relativiert sich dann wieder. Vorauseilender, blinder Gehorsam ist nicht immer der beste Weg.

Lassen wir die Regulatorien hinter uns: Wie viele Mitarbeiter beschäftigt Raiffeisen in der IT?
Die Rolle von Raiffeisen Schweiz ist unter anderem ja die, dass wir gegenüber den rund 320 Raiffeisen-Banken in der Schweiz gewisse Dienstleistungen erbringen und sie beraten. Unter anderem wird auch die Informatik von Raiffeisen Schweiz vorgegeben. In der Informatik arbeiten rund 600 Mitarbeiter, die in St. Gallen sowie in Dietikon beschäftigt sind. Rund 200 davon sind Software-Entwickler, knapp 300 Mitarbeiter kümmern sich um den Betrieb. Aktuell sind zudem rund 50 Entwickler damit beschäftigt, unsere rund 15 Jahre alte Kernbankenapplikation Dialba zu renovieren. Diese separate Entwicklungsabteilung macht nichts anderes, als sich um diese Renovation zu kümmern, was ein mehrjähriges Vorhaben ist.

Dialba wird renoviert, nicht abgelöst?
Richtig. Wir haben in den letzten Jahren den Zahlungsverkehr und den Bereich Wertschriften auf eine Standard-Software – Avaloq – migriert. Dialba, welche das Front-end zu den Bankmitarbeitern am Schalter bildet, passt allerdings genau auf die Bedürfnisse von Raiffeisen und kann unsere Besonderheiten abbilden, wie das keine Standardlösung könnte. Dialba funktioniert für eine kleine Bank mit zwölf Mitarbeitern genauso wie für eine Bank mit 150 Leuten. Mit einer Standardlösung wäre das schwierig. Zudem können wir mit unserer eigenen Lösung selbst bestimmen, welche Funktionen wir bieten wollen und welche nicht.


Aber ist eine solche Eigenentwicklung heute noch zeitgemäss?
Aufgrund der genannten Faktoren schon. Aber: Was wir in der Raiffeisen-Informatik nicht wollen, ist eine «Freestyle IT», wie ich sie nenne. Mit Freestyle-IT meine ich, dass die IT nicht den Informatikern dienen soll, um sich zu verwirklichen. Das kommuniziere ich meinen Leuten auch ganz klar. Die Zeiten, als es darum ging, möglichst tolle Programme zu entwickeln und Features zwischen Tür und Angel zu besprechen, sind vorbei. Wenn ich spüre, dass Mitarbeiter von mir Code um des Codes Willen schreiben wollen, dann sage ich ihnen, dass ich das zwar super finde, dass sie dazu aber zu Google oder Microsoft gehen sollen. Dort können sie sich verwirklichen, bei uns läuft vieles prozessorientiert. Auch das ist spannend, aber funktioniert halt anders.

Andere grosse Banken, speziell die CS und die UBS, bauen Stellen ab oder verlagern sie ins Ausland. Wie ist die Situation bei Raiffeisen?
Wir können einen sehr hohen Eigenfertigungsgrad ausweisen. Die Wartung unserer Netzwerke, eines der grössten privaten Netzwerke der Schweiz, ist an Swisscom ausgelagert. Und wir arbeiten vereinzelt mit Lieferanten zusammen, die Nearshoring betreiben – übrigens mit gemischten Ergebnissen. Ansonsten machen wir alles inhouse – inklusive dem Betrieb der Rechenzentren. Das heisst nicht, dass das für immer so bleiben wird. Die Schweiz ist keine Insel. Ein Beispiel ist etwa das Lizenz-Management, wo man manchmal kreativ sein muss, um gegen die globalen Riesen anzukommen. Es kann nicht sein, dass in der Schweiz 40 Prozent mehr für eine Lizenz verlangt wird als im benachbarten Ausland. Doch wir wissen uns zu wehren.

Warum sourct Raiffeisen denn nichts aus?
Ich habe bei früheren Arbeitgebern reiche Erfahrung im Bereich Outsourcing sammeln können und kenne das Geschäft. Als ich bei Raiffeisen begonnen habe, wollte ich wissen, wie man dem Thema gegenübersteht. Damals hiess es, dass eine Lösung ruhig auch mal etwas mehr kosten darf, und dass Outsourcing nicht so sehr zu dieser national tätigen Bank passt.


Hängt diese Philosophie auch mit der starken regionalen Verankerung der Bank zusammen?
Sicher auch. Sehen Sie, jedes Mitglied der Geschäftsleitung erfüllt auch repräsentative Aufgaben in einem Teil der Schweiz. Das bedeutet, dass ich jeden Monat einige Male als GL-Mitglied in meinen Regionen unterwegs bin und dabei lokale, kleine KMU und Lokalpolitiker treffe. Wenn Sie da erklären müssen, warum Sie jetzt das letzte Projekt in Bangalore entwickeln liessen, kommen Sie mit den Füssen ziemlich rasch wieder auf den Boden zurück.

Aber den Kostendruck spürt auch Raiffeisen?
Das ist so, und ich muss Ihnen auch sagen, dass – wenn der Druck auf die Zinsmargen weiter zunimmt – auch wir noch mehr auf unsere Kosten schauen müssen. Raiffeisen ist in den letzten Jahren enorm gewachsen. Zwischen 2007 und 2011 hat die Zahl der Kunden um 16 Prozent zugelegt, die Zahl der E-Banking-Verträge um 90 Prozent, die der Hypotheken um 36 Prozent. Gleichzeitig sind die IT-Kosten pro Mitarbeiter um 14 Prozent zurückgegangen, der Anteil der IT-Kosten im Verhältnis zu den Gesamtkosten ist von rund 20 auf aktuell unter 17 Prozent gesunken, und die Zahl der externen Mitarbeiter habe ich um die Hälfte reduziert. Sicher wäre Outsourcing eine Möglichkeit, die Kosten weiter zu senken, und ich will diesen Schritt nicht ausschliessen. Aber es muss passen.


Thema Fachkräftemangel: Finden Sie IT-Mitarbeiter?
Ja, wir finden Leute. Seit rund zwölf Monaten bewerben sich auch immer häufiger Spezialisten von Grossbanken bei uns. Früher hat sich niemand mit UBS- oder CS-Vergangenheit bei Raiffeisen beworben, heute schon. Hier in St. Gallen gehören zudem auch Deutschland und die Region Vorarlberg zum Einzugsgebiet. Ausserdem sind bei uns permanent 32 IT-Lehrlinge in Ausbildung. Die allermeisten davon bleiben auch nach der Lehre bei uns. Wir finden also Leute, aber ich bin mir der Problematik bewusst. Aus diesem Grund bin ich seit kurzem im Vorstand von ICTswitzerland, wo der Nachwuchskräftemangel ein grosses Thema ist. Und ich engagiere mich auch bei weiteren Initiativen, und mir ist vor allem auch wichtig, dass das Image des Informatikers realistischer wird. Der Informatiker ist kein Pizza-verschlingender Nerd, der die ganze Nacht vor dem PC am Gamen ist. Leider ist dieses Bild noch weit verbreitet, und dieses Bild müssen wir korrigieren, denn der Beruf des Informatikers ist unglaublich vielfältig.

Können Sie noch etwas zu aktuellen Projekten hier bei Raiffeisen erzählen?
Ein grosses Projekt betrifft den Mainframe. Ich habe vor zwei Jahren entschieden, den Mainframe abzuschaffen. Für mich war der Host zu schwerfällig und zu wenig flexibel für die Anforderungen, die wir erfüllen müssen. Deshalb werden wir noch in diesem Jahr vom Mainframe auf Unix zügeln. Ausserdem laufen die verschiedensten Anpassungen im Bereich Security, teils ebenfalls sehr umfassende Projekte. Und unser aktuell grösstes, wichtigstes Projekt ist die bereits erwähnte Renovation von Dialba, wo wir aus vier verschiedenen Technologien und Frameworks auf Java migrieren.


Gibt es auch bei den Schnittstellen zum Kunden aktuelle Projekte?
Im Bereich E-Banking haben wir bereits eine topmoderne Lösung, wo wir mit PhotoTAN, einer Art farbigem QR-Code, der mit dem Smartphone gelesen wird, einen hohen, aber kundenfreundlichen Sicherheitslevel gewährleisten. Im Bereich Mobile-Banking bieten wir seit rund einem halben Jahr zudem eine hochwertige, speziell entwickelte Lösung. Wir sind also gut aufgestellt. Potential gibt es derweil noch bei der Interaktion zwischen dem Kundenberater in der Bank und dem Kunden. Die Kundenberater würden natürlich gerne mit Tablets arbeiten und dort sämtliche Kundendaten bereit haben. Eine solche, vollintegrierte Lösung benötigt Daten aus dem CRM. CRM ist in Dialba eingebunden, diese Daten aber für den Kundenberater in der gewünschten Form bereitzustellen, ist eine grosse Herausforderung, die wir erst angehen können, wenn die Renovation des Systems abgeschlossen ist.

Sie haben in einem Interview vor rund vier Jahren einmal gesagt, dass Raiffeisen Wert darauf legt, zukunftsgerichtete Technologien einzusetzen. Hat diese Aussage noch Gültigkeit?
In gewissen Bereichen sind wir technologisch sicher vorne dabei. Die angesprochene PhotoTAN-Lösung ist so ein Beispiel. Vor zwei Jahren wurde uns zudem attestiert, dass wir europaweit die höchste Virtualisierungsrate auf IBM-Systemen haben, und wir haben damals schon unsere Private Cloud umgesetzt. Auch Bring your own Device haben wir relativ früh ermöglicht, und wir haben schon vor geraumer Zeit mit Scrum und agilen Methoden begonnen. Sie sehen also, wir setzen auf zukunftsgerichtete Technologien. Aber wir sind kein First Mover, und wir springen nicht auf jeden Trend auf.


Vor rund vier Jahren haben Sie ausserdem ausgesagt, dass Sie einen hohen Standardisierungsgrad bei Raiffeisen anstreben. Haben Sie dieses Ziel erreicht?
Wir haben sehr viel im Bereich Standardisierung umgesetzt, und das Thema ist auch heute noch weit oben in unserer IT-Strategie. Standardisierung und gleichzeitig auch Zentralisierung machen bis zu einem gewissen Punkt sehr viel Sinn – auch im Sinne der Kostenoptimierung und einem hohen Automatisierungsgrad.

Sind Sie selbst überhaupt noch in die eigentlichen IT-Projekte involviert, oder geben Sie nur noch die grundlegende Marschrichtung vor, die dann umgesetzt wird?
Ich bin von Grund auf Informatiker, und ich war in der Informatik schon in den unterschiedlichsten Bereichen tätig. Ich verfüge also über das Know-how, um einem Projektleiter ein paar gescheite Fragen zu stellen. Ich bringe zudem auch im Bereich Wirtschaft meinen Rucksack mit. Ich bin jemand, der die Zusammenhänge verstehen will, um führen zu können, ohne dass ich jedes Detail kennen muss. Würde ich mich in Details verrennen, ginge die strategische Sicht verloren. Kommt hinzu, dass ich in der Geschäftsleitung nicht von Bits und Bytes sprechen kann, sonst hört mir rasch niemand mehr zu.


Aber Ihnen hört die Geschäftsleitung zu?
Ich bin der erste IT-Leiter in der Geschichte von Raiffeisen, der Einsatz in die Geschäftsleitung genommen hat. Und mir war und ist sehr wohl bewusst, dass das eine riesige Chance ist, die mir Pierin Vincenz, unser CEO, hier bietet. Ein erfolgreicher CIO muss die Informatik verstehen, aber er muss auch das Business verstehen und umfassende kommunikative Fähigkeiten mitbringen. Er muss komplexe Sachverhalte so darstellen können, dass die Geschäftsleitung begreift, um was es geht, und noch viel wichtiger: dass der Nutzen gesehen wird. Und man muss auch Verständnis für die IT schaffen. Ich führe seit einigen Jahren regelmässig einen Presenting-IT-Tag durch. Dabei lade ich unter anderem alle Bankleiter ein, die sich innerhalb des letzten halben Jahres wegen eines IT-Problems bei mir beschwert haben, und erkläre ihnen, was wir hier in der Informatik genau machen. Dabei schlage ich drei Fliegen mit einer Klappe. Erstens: Der Bankleiter sieht, wie komplex gewisse Dinge in der IT sind und warum seine Wünsche vielleicht nicht schon innert 24 Stunden umgesetzt werden können. Zweitens: Meine Mitarbeiter kommen mit der Front in Kontakt – mit ihren Kunden sozusagen. Und drittens: Die Anzahl Reklamationen nimmt ab, weil die Zusammenhänge verstanden werden und die Geduld dadurch höher ist. Sie sehen, Kommunikation ist das A und O. (mw)


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