Innovation versus Effizienz: Mit Best Practices aus dem Dilemma
Quelle: Swiss ICT Magazin

Innovation versus Effizienz: Mit Best Practices aus dem Dilemma

Von Alex Büch und Thomas Brenzikofer

Der Erfolg vieler Unternehmen gründet nicht auf Innovation sondern auf Effizienz. Doch in vielen Industrien genügt dies nicht mehr. So sind aufgrund von Margenerosion und neuen Regulatorien beispielsweise die Privatbanken herausgefordert, sich neu zu erfinden. Per Knopfdruck lässt sich die geforderte Innovationskultur in einem Unternehmen allerdings nicht befehlen.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2013/05

     

Während bei Technologie- und Pharmaunternehmen Innovation gewissermassen in der Erbsubstanz festgeschrieben ist, konzentriert sich die Mehrheit der Unternehmen darauf, eine Dienstleistung korrekt und zur höchsten Zufriedenheit des Kunden abzuwickeln. Der Fokus liegt also auf effizienten Prozessen. Diese können wohl noch optimiert werden. Dabei handelt es sich aber lediglich um inkrementelle Verbesserung. Man macht das, was man immer tut, einfach besser, aber nicht grundlegend anders. Letzteres ist indes gemeint, wenn man von Innovation spricht: Die Einführung von Technologien und Prozessen, welche zu einschneidenden positiven Veränderungen führen.

Überleben und Marktchancen nutzen


Für Innovation braucht es meist den Druck von aussen. Normalerweise sind Menschen und mit ihnen Organisationen gegenüber disruptiven Veränderungen resistent. Revoluzzer-, Erfinder- und Entdeckertypen, welche ohne Rücksicht auf Verluste bestehendes hinterfragen und neue Wege gehen wollen, sind in der Minderheit. Vielfach werden sie auch als Störenfriede einer bestehenden Ordnung wahrgenommen. Erst in den vergangenen Jahren wurde das Loblied auf die kreativen Zerstörer wie Steve Jobs oder Jeff Bezos [1] angestimmt und Innovationen zu so etwas wie einem kollektiven Imperativ der Businesswelt erkoren. Wie kam es zu dieser Trendwende?


Festzustellen ist, dass sich das wirtschaftliche Umfeld für viele Unternehmen in den vergangenen zwei Dekaden grundlegend verändert hat. Die Globalisierung, der Siegeszug der neuen Kommunikations- und Informationstechnologien und das sich verändernde Kundenverhalten haben den Schwerpunkt der Wirtschaftsordnung merklich verschoben. Dadurch sind die Märkte instabiler geworden. Krisen kommen häufiger und fallen heftiger aus. Unternehmen sind also herausgefordert: Einerseits müssen sie sich in immer kürzeren Zyklen an neue Begebenheiten anpassen, wollen sie nicht riskieren aus dem Markt gedrängt zu werden. Andererseits bieten sich in Zeiten grösserer Instabilität immer auch neue Marktchancen, die genutzt werden können.
Genau in dieser Situation befindet sich heute der Schweizer Bankensektor. Wenn es z.B. den kleineren Privatbanken in den nächsten Jahren nicht gelingt, ihre Kostenbasis im zweistelligen Prozentbereich zu reduzieren, ist eine Konsolidierung des Marktes nicht mehr zu verhindern.

Radikale Ziele brauchen ebensolche Ansätze


Die Kosten um 20 Prozent und mehr zu reduzieren übersteigt das, was Programme zur Effizienzsteigerung üblicherweise erzielen müssen. Verlangt sind jetzt plötzlich viel radikalere Ansätze. Um bei den Banken zu bleiben, so müssen sich diese sich grundlegend über ihre Prozesse Gedanken machen, möglicherweise gar über ihr gesamtes Geschäftsmodell. Mit diesen Herausforderungen ist der Bankensektor nicht alleine: Vor gewichtigen Entscheidungen steht man auch in der Energiebranche, im Mediengeschäft, im Detailhandel und vielen Bereichen der Industrie.
In solchen Situationen stellt sich bei Unternehmen meist der gleiche Reflex ein. Der Blick richtet sich zunächst auf die Kostenseite. Produktportfolio straffen, Prozesse entschlacken und wo möglich die Wertschöpfungskette durch Outsourcing optimieren. Doch irgendwann ist die Zitrone ausgepresst. Gleiches mit immer weniger zu machen, geht dann nicht mehr. Im Englischen Raum hat sich dafür eine treffende Bezeichnung entwickelt: „MESS for LESS“. Es bleibt nur eine Alternative: Dasselbe grundlegend anders machen. Aber wie soll das gehen?
Anders als die üblichen Kostensparprogramme lässt sich Innovation nicht per Knopfdruck befehlen, auch wenn dies immer wieder versucht wird. Die Massnahmen dazu sind so simpel wie unergiebig. Vom Ideenbriefkasten, über Brainstorming in der Gruppe bis hin zu Innovationsfrühstücken, Workshop-Retraiten und Open Innovation Initiativen: Was herauskommt sind in aller Regel wilde Ideen, deren Implementierung einer Radikalkur mit vorausgehender Schocktherapie gleichkäme. Alle Hoffnung wird dabei auf einen abstrakten Deus Ex-Machina gesetzt. Dieser soll nicht selten aus der IT-Abteilung kommen, welche ja immer wieder mit heilbringenden Technologie-Hypes von sich reden macht - frei nach dem Motto: „Jetzt machen wir Cloud!“.

Top-Down-Innovationen scheitern am mittleren Management

Immerhin haben solche Anstrengungen auch einen positiven Effekt, tragen sie doch dazu bei, dass sich Mitarbeiter und Management gegenüber Neuem nicht länger verschliessen können. Doch Offenheit allein genügt nicht, um Innovationen tatsächlich auf den Boden zu bringen. Gerade dies fällt vielen Unternehmen ungemein schwer: Top Down initialisiert, beisst sich die Innovation Task Force im mittleren Management meist die Zähne aus. Dies ist nur allzu menschlich. Denn Innovationen bringen Veränderungen und diese zerstören zwangsläufig Bestehendes. Mühsam erklommene Positionen erscheinen plötzlich als gefährdet und bis anhin wertgeschätzte Kompetenzen werden nicht mehr gebraucht. Dummerweise müssen Innovationen auch noch neben dem bestehenden Tagesgeschäft vorangetrieben werden und dies bedeutet für das ohnehin unterdotierte mittlere Management nur eines: Mehrarbeit, aber sicher nicht mehr Motivation!
Insbesondere in der IT ist das Festhalten an alten Zöpfen ein weitverbreitetes Phänomen. Daran ist die IT-Industrie auch selber schuld. Aus neuen Technologien werden zu gerne Hypes fabriziert, die alles bestehende in Frage stellen und den radikalen Neuanfang propagieren. Dass aber Unternehmen ihre IT-Infrastruktur und Applikationslandschaft nicht einfach so um- oder abstellen können, weil sie darauf immerhin ein operatives Geschäft zu betreiben haben, wird von den IT-Marketiers meist nicht in Erwägung gezogen. Und so kommt es immer wieder zu Mammut-IT-Projekten, die, wenn sie nicht vollkommen in Schieflage geraten, meist erheblich mehr finanzielle Mittel verschlingen und letztlich nicht das halten, was sie mal versprochen haben.

Neues muss auf Bestehendem aufbauen: der Glueware-Ansatz

Wen wundert‘s, dass die Risikoaversion der Unternehmen gegenüber neuen technologischen Ansätzen gestiegen ist. IT-Innovation muss deshalb methodologisch an einem ganz anderen Ort ansetzen.
Um eine geschäftsorientierte Art der IT-Modernisierung zu ermöglichen, wurden im letzten Jahrzehnt klassische Middleware-Ansätze weiterentwickelt. In Verbindung mit modernen Modell-basierten Verfahren ist so eine Integrationsmethode ohne Medienbruch von der Spezifikation über die Entwicklung bis hin zum Betrieb entstanden: Glueware. Sozusagen ein dynamischer Klebstoff für geschäftsorientierte Prozessintegration.
Dank des konsequenten Einsatzes von grafischen Modellen, die von allen Verantwortlichen verstanden werden können, rückt die Technik beim Glueware-Ansatz zugunsten von Kommunikation, Prozessdesign und fachlicher Integration in den Hintergrund. Programmierung als teures, personenabhängiges Handwerk wird in einer wiederverwendbaren Form gekapselt und damit ihr Wert für das Unternehmen gesteigert. Durch den Glueware-Ansatz wird eine Industrialisierung der Softwareentwicklung möglich, und es lassen sich die verschiedensten Aspekte der Prozessintegration in einem hochintegrierten Lebeszyklus vereinigen (s. Abbildung 1).
Fachspezialisten im Unternehmen, die das entsprechende Prozess-Know-how mitbringen, bekommen so ein Werkzeug, mit dem sie effizient in den Betrieb eingreifen und Innovationen direkt umsetzen können. Vor allem aber setzt Glueware auf Bestehendem auf, denn es geht hier vor allem darum, aus einer bereits produktiv genutzten Applikationslandschaft schrittweise – und kontrolliert – Mehrwert zu schöpfen, indem diese zu neuen, flexibleren Prozessen verdrahtet wird, welche das Unternehmen agiler und geschmeidiger machen. Mit dem Glueware-Ansatz werden bestehende IT-Investitionen also flexibilisiert und veredelt.

Innovation braucht Motivation


Wer mit Innovationen positive Erfahrungen gesammelt hat, wird festellen, dass Erfolg immer wieder mit denselben Verhaltensmustern gepaart ist. In der Regel sind es einzelne Mitarbeitende, so genannte „Champions“, welche sich durch Fachkenntnis, Enthusiasmus und sicherlich auch mit einer Prise politischem Geschick den Freiraum schaffen, eine wirklich neue Geschäftsidee auszuprobieren. Natürlich sieht der Champion darin auch eine Chance, sich persönlich im Sinne seiner positiven Karriereentwicklung zu exponieren.
Findet sein Vorschlag auf der oberen Führungsebene Gehör, fängt die Arbeit jedoch erst an. Die Begeisterung auf gleicher Stufe unter den Kollegen auszulösen, ist ungleich schwieriger. Man begegnet dem Champion meist mit Skepsis.
Entscheidend ist es deshalb an dieser Stelle, dass die Innovation nicht als Sandkastenübung verharrt, sondern konkret fassbar gemacht wird. Genau dies ist beim Glueware-Ansatz relativ einfach möglich: Der neue Prozess wird im Rahmen eines wirtschaftlich nützlichen „Proof-of-Concept“ direkt auf den produktiven Systemen umgesetzt, so dass die Veränderung für alle Verantwortlichen erfahrbar gemacht werden kann. Auf diese Weise kommen dann immer mehr Projekte zustande, die zur Nachahmung animieren und es entsteht eine Innovationskultur.

Im Graben zwischen Business und IT liegt das grösste Innovationspotential

Dass Innovation heute in vielen Unternehmen, gerade im Dienstleistungssektor (aber nicht nur!) an der Schnittstelle zwischen Business und IT stattfindet, ist kein Zufall. Denn hier herrschte in der Vergangenheit die grösste Blockade. Allmählich beginnt das Business die Implikationen und Potenziale, welche die Einführung neuer technischer Möglichkeiten mit sich bringen, besser zu verstehen. Umgekehrt kann sich die IT immer weniger erfolgreich dagegen wehren, wenn in immer kürzeren Abständen Prozessänderungen in den Systemen produktiv gemacht werden müssen - notabene ohne dafür mehr Mittel und Ressourcen in Anspruch nehmen zu dürfen. Und wenn sich die IT zu wehren versucht, dann wird sie von der Fachabteilung im Handumdrehen mit einer Cloud-Lösung umgangen – um die sich die IT dann später doch selbst kümmern darf – oder muss.
Dennoch liegen zwischen dem technisch Machbaren und dem vom Business Geforderten immer noch Welten. Umso wichtiger ist es deshalb, dass Business und IT die gleiche Sprache sprechen, am besten in Form eines gemeinsamen visuellen Modells (s. Abbildung 2). Entscheidend ist dabei auch, dass die im Modell beschriebenen Begebenheiten der Betriebswahrheit entsprechen. So ist immer wieder festzustellen, dass Berater Prozesse beschreiben, die in Wirklichkeit gar nicht so gelebt werden und im IT-System auch ganz anders implementiert wurden.
Erst wenn diese beiden Bedingungen - Transparenz und Authentizität - gegeben sind, können auch konkrete und verbindliche Ziele formuliert werden, die schrittweise erreicht werden. Und zwar selbst dann, wenn diese Ziele angepasst werden müssen. Gerade dies macht ja schliesslich das Wesen der Innovation aus: Die Fähigkeit zur kontinuierlichen Veränderung.


Alex Büch ist Chief Solution Architect bei E2E und Vorstand von swissICT. Thomas Brenzikofer ist Publizist mit Schwerpunkt ICT und Innovation.


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