Beurteilungsfehler bei Mitarbeitern

Von Hans-Jörg Schumacher

Führungskräfte gelangen beim Beurteilen von Mitarbeitern oft zu Fehleinschätzungen. Das führt zu falschen Personal-entscheidungen, was wiederum viel Zeit und Geld kostet.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2013/05

     

Im Alltag steckt man Menschen oft vorschnell in falsche Schubladen – ohne negative Konsequenzen. Anders ist dies, wenn eine Führungskraft zum Beispiel basierend auf Fehleinschätzungen die falschen Mitarbeiter einstellt. So wie zum Beispiel der Inhaber eines mittelständischen IT-Unternehmens. Nach langer Suche hatte er scheinbar endlich den passenden Buchhalter gefunden. Der Bewerber erschien ihm, wie er selbst, als pragmatischer Macher. Er glänzte zudem mit Erfahrung. Und er spielte ebenfalls Tennis. Diese Punkte brachten den Firmeninhaber zur Überzeugung: «Das ist der richtige Mann.»
Doch dann trat der Neue die Stelle an, und dem Inhaber des IT-Unternehmens kamen schnell erste Zweifel. Denn es gab immer wieder Pannen bei der Buchführung. Und der pragmatische Macher entpuppte sich als Besserwisser und Möchtegern-Chef. Seine Kollegen beklagten sich beim Firmeninhaber immer lauter: «Den Befehlston des Neuen lassen wir uns nicht bieten.» Mit der Konsequenz, dass der Firmeninhaber drei Monate später erneut einen Buchhalter suchte, weil sich der Traumkandidat als Fehlgriff erwiesen hatte.

Der Sympathie-Effekt


Warum beging der Firmeninhaber diesen Fehlgriff und stellte den Bewerber ein? Ganz einfach: Er war ihm sympathisch. Denn er hatte ähnliche Charakterzüge, wie er selbst, und dasselbe Hobby. Was der Firmeninhaber jedoch vergass, war, dass ein Buchhalter andere Fähigkeiten und Eigenschaften braucht als der Chef eines Unternehmens. So ist ein Erbsenzähler an der Unternehmensspitze in der Regel eine Fehlbesetzung. In der Buchhaltung sind solche Typen jedoch durchaus gefragt. Und ein Chef muss auch mal auf den Putz hauen und seinen Leuten sagen, wo es lang geht. Anders ist dies bei einem Buchhalter. Er ist in erster Linie ein interner Dienstleister. Also sollte er sozial-verträglich sein.
Dass die verschiedenen Funktionen in einer Organisation neben unterschiedlichen Fähigkeiten auch verschiedene Persönlichkeitstypen erfordern, machen sich Führungskräfte oft nicht ausreichend bewusst. Entsprechend häufig tappen sie beim Auswählen und (Be-) Fördern von Mitarbeitern in die Sympathiefalle und bevorzugen unbewusst Personen, mit denen sie auch privat gerne verkehren würden.

Der Ich-bin-der-Massstab-Effekt

Oft machen Führungskräfte auch folgenden Fehler: Sie legen ihre Kompetenz als Massstab beim Bewerten anderer Personen an. Das führt häufig zu Fehlentscheidungen. Ein Beispiel: Angenommen ein Unternehmen plant eine IT-Schulung, und die verantwortliche Führungskraft ist in Sachen IT sehr fit. Dann besteht die Gefahr, dass sie die IT-Kompetenz ihrer Mitarbeiter eher schlecht einstuft, selbst wenn sie über die für ihren Job erforderlichen Kenntnisse verfügen. Und diese schlechte Einschätzung wird der Chef auch seinen Mitarbeitern bewusst machen, was diese selbstverständlich frustriert. Zudem besteht die Gefahr, dass die Führungskraft ihre Mitarbeiter zu IT-Schulungen schickt, die für ihren Job nicht nötig wären. Das ist Zeit- und Geldverschwendung. Umgekehrt ist es, wenn eine Führungskraft von IT keine Ahnung hat. Dann besteht die Gefahr, dass sie das IT-Wissen ihrer Mitarbeiter überschätzt und ihnen nötige Schulungen verwehrt. Die Folge: Aufgaben werden nicht so gut oder schnell erledigt, wie dies möglich wäre.



Der Hierarchie-Effekt


Vom Hierarchie-Effekt spricht man, wenn ranghöheren Personen automatisch mehr Kompetenz zugeschrieben wird als Personen in den niedrigeren Chargen. Das ist zum Beispiel der Fall, wenn ein Abteilungsleiter einem Teamleiter automatisch mehr Sachverstand als einem normalen Sachbearbeiter unterstellt oder einem Diplom-Betriebswirt ein ausgeprägteres unternehmerisches Denken als einem Industriekaufmann zugestanden wird. Das geschieht im Führungsalltag häufig. Als Folge hiervon werden Mitarbeiter oft mit den falschen Aufgaben betraut. Und wenn der Industriekaufmann Müller etwas sagt, wird seinen Aussagen eine geringere Bedeutung beigemessen, als wenn Diplom-Kaufmann Meier dasselbe sagt. Das frustriert Müller, weshalb er irgendwann nichts mehr sagt und zumindest innerlich kündigt.

Der Benjamin-Effekt


Eng verwandt mit dem Hierarchie- ist der Benjamin-Effekt. Von ihm spricht man, wenn jungen Mitarbeitern automatisch mehr oder weniger Kompetenz zugeschrieben wird als älteren Kollegen, die schon viele Jahre Berufserfahrung haben und eventuell lange fürs Unternehmen arbeiten. Dass jungen Mitarbeitern weniger zugetraut wird und sie sich erst bewähren müssen, registriert man oft in Industriefirmen und Verwaltungen. Dies hat zur Folge, dass junge, talentierte Mitarbeiter abwandern, weil sie in ihren Augen nur Handlanger-Dienste verrichten und kaum gefördert werden. Das Gegenteil registriert man häufig in IT-Unternehmen oder in Firmen wie Werbeagenturen, die sich als Kreativ-Schmieden verstehen. In ihnen wird älteren Mitarbeitern oft unterstellt, sie seien nicht mehr auf dem neuesten Stand der Dinge sowie weniger flexibel, kreativ, belastbar und lernfähig als die Jungen. Dann wirkt sich der Benjamin-Effekt positiv für die Jungen aus. Und die Alten? Sie ziehen sich mental aufs Altenteil zurück, weil sie Tag für Tag, wenn auch subtil spüren, dass ihr Chef sie bereits abgeschrieben hat.

Der Halo-Effekt


Oft schliessen Führungskräfte von einer Fähigkeit eines Mitarbeiters auf dessen sonstiges Können. Hierfür ein fast alltägliches Beispiel: Ein Mitarbeiter ist ein eloquenter Redner, der sich und seine Leistungen sehr gut präsentieren und verkaufen kann. Dies hat zur Folge, dass insbesondere Vorgesetzte, die mit ihm nicht täglich Kontakt haben, annehmen, dass dies ein Top-Mitarbeiter ist – selbst wenn seine Leistung real nur durchschnittlich oder gar unterdurchschnittlich ist. Also fördern und befördern sie ihn. Das frustriert die eigentlichen Leistungsträger, weil ihre Leistung – im Gegensatz zu der des Schaumschlägers – nicht angemessen gewürdigt wird. Eine weitere negative Konsequenz ist, dass in den oberen Etagen des Unternehmens irgendwann überwiegend Blender sitzen, die fachlich wenig Ahnung haben.

Der Kleber-Effekt


Führungskräfte schliessen häufig auch aus der bisherigen Leistung eines Mitarbeiters auf dessen künftige Leistung. So registriert man zum Beispiel immer wieder, dass Führungskräfte bei Mitarbeitern, die in der Vergangenheit zuverlässig, motiviert und erfolgreich waren, gar nicht wahrnehmen, wenn deren Leistung sinkt. Folglich suchen sie zum Beispiel auch nicht das Gespräch mit ihnen, was die Ursachen hierfür sind. Das hat oft zur Folge, dass die Leistung des Mitarbeiters dauerhaft sinkt, ohne dass die Führungskraft dies registriert. Denn die Führungskraft hat dem Mitarbeiter ein für alle Mal den Stempel verpasst, dass er ein guter Mitarbeiter ist.
Dasselbe registriert man umgekehrt. Fiel ein Mitarbeiter erst einmal durch Minderleistung auf, schaut seine Führungskraft selbstverständlich genauer hin, wie der Angestellte arbeitet. Und weil der Chef das Bild im Kopf hat, dass es sich um einen schlechten Mitarbeiter handelt, findet er stets auch Dinge, die man besser machen könnte. Was er jedoch nicht mehr sieht, ist, was der Mitarbeiter gut gemacht hat. Das frustriert diesen, und er stellt sein Bemühen ein, die Leistung zu verbessern.

Der Nimbus-Effekt


Studien belegen, dass attraktiven Menschen meist mehr Kompetenz zugeschrieben wird als weniger attraktiven. Dasselbe gilt für Personen, die in den Augen der Betrachter gut oder ihrer Position angemessen gekleidet sind. So assoziiert man mit Personen, die einen Anzug und eine Krawatte tragen, oft Seriosität – weshalb zum Beispiel fast alle männlichen Bankangestellten so kostümiert sind. Dabei hat nicht nur die Finanzkrise gezeigt, dass dies oft ein Trugschluss ist. Umgekehrt unterstellen Führungskräfte Mitarbeitern, die eher nachlässig gekleidet sind, oft, sie seien auch im Job nachlässig – und dies obwohl gerade diese Leute, die weniger Wert auf Äusserlichkeiten und Status-Symbole legen, häufig die besten Arbeiter sind.
Noch stärker als das Aussehen wirkt sich auf die Beurteilung aus, welcher sozialen Gruppe eine Person erkennbar angehört – also Geschlecht, kulturelle oder nationale Abstammung oder soziale Herkunft. So haben auch Führungskräfte, schliesslich sind auch sie nur Menschen, gewisse Stereotypen bezüglich Frauen und Männern im Kopf. Ebenso assoziiert man mit Menschen aus dem asiatischen Kulturkreis fast automatisch selbstbeherrscht und fleissig. Und Personen, die eine hohe Affinität zu Computern haben, gelten als sogenannte Nerds. Ihnen wird oft vorschnell unterstellt, sie seien soziophob.

Weniger Beurteilungsfehler begehen


Solche Vorurteile hat jeder Mensch. Sie beeinflussen ebenso wie die aufgeführten Effekte, wie man Personen wahrnimmt, beurteilt und sich ihnen gegenüber verhält. Der einzige Unterschied: Manchen Menschen ist dies mehr, manchen weniger bewusst. Wenn Führungskräfte ihre blinden Flecken kennen, hat dies den Vorteil, dass sie ihre Vorurteile, die sie aufgrund ihrer Herkunft oder Erfahrung haben, überprüfen, bevor sie ein Urteil fällen. So begehen sie weniger Beurteilungsfehler und Fehlentscheidungen, die häufig nicht nur gravierende Folgen für die betroffenen Mitarbeiter, sondern auch für das Unternehmen haben.

Der Autor

Hans-Jörg Schumacher leitet den Geschäftsbereich Leadership
Development der Unternehmensberatung Dr. Kraus & Partner. www.kraus-und-partner.de


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