Löcher statt Bohrer verkaufen

Von Peter Schreiber

«Der Kunde braucht Löcher und keine Bohrer» – so lautet eine alte Verkäuferweisheit. Trotzdem denken viele Verkäufer im IT-Bereich noch zu stark in Produktkategorien. Deshalb können sie ihren Kunden nicht vermitteln, dass ihre Lösung diesen mehr Nutzen als das Konkurrenzprodukt bietet.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2020/03

     

Ihr müsst euren Kunden einen Mehrwert bieten – verglichen mit euren Mitbewerbern. Denn nur dann kauft ein Kunde euer Produkt und ist eventuell sogar bereit, hierfür mehr zu zahlen.» Diese Aussage hört man oft in Verkaufsseminaren und nicht erst seit der Begriff Mehrwertstrategie – oder neudeutsch Added-Value-Strategie – gefühlt in aller Munde ist.

Entsprechend agieren viele Verkäufer in Verkaufsgesprächen und -verhandlungen. Ausführlich schildern sie den Kunden die technischen Merkmale ihres Produkts und welche Vorzüge sich daraus aus ihrer Sicht für den Kunden ergeben. Doch dann stellen sie erstaunt fest: Der Kunde interessiert sich hierfür nicht, weil der beschriebene «Mehrwert» nicht seinen Bedürfnissen entspricht.


Mit Nachdruck sollten deshalb Verkaufs- und Vertriebsleiter ihren Mitarbeitern immer wieder vermitteln: Was aus Sicht des Kunden ein «Mehrwert» ist, ergibt sich aus dessen Bedarf und Zielsetzungen. Also gilt es, diese Faktoren zunächst zu erkunden.

Kernfrage: Was will und braucht der Kunde?

«Das tun wir doch», erwidern Verkäufer und Key Accounter oft auf diese Aufforderung. Stimmt, die meisten Verkäufer von Investitionsgütern fragen ihre Kunden, welche (technischen) Anforderungen diese an das Produkt haben. Sie gleichen einem Autoverkäufer, der seine Kunden fragt, wie viele Sitze das Auto haben soll, wie schnell es fahren soll und wie viel es kosten darf. Dies ist das typische Vorgehen eines Produktverkäufers, jedoch nicht eines Lösungsverkäufers. Ein solcher bietet als Selling Consultant seinen Kunden einen echten Mehrwert – also mehr Nutzen, indem er sie zum Beispiel beim Erhöhen ihrer Wettbewerbsfähigkeit unterstützt.
Ein IT- oder Softwareverkäufer, der sich als Lösungsverkäufer versteht, erkundigt sich im Kundenkontakt zunächst detailliert:

- Was ist das Geschäft des potenziellen Kunden?


- Womit versuchte er sich bisher in seinem Markt von seinen Wettbewerbern zu differenzieren? Was macht ihn bei seinen Kunden erfolgreich?

- Womit könnte er sich noch differenzieren? Was hindert ihn im Moment daran, noch erfolgreicher zu sein?

- Wofür braucht der Zielkunde eine (Problem-)Lösung? Welche Ziele möchte er damit erreichen?

- Welche Anforderungen sollte aus Kundensicht die Lösung folglich erfüllen?

- Wie lässt sich deren Wirtschaftlichkeit darstellen? Betrachtet der Kunde die Anschaffungskosten oder die Total Costs of Ownership?

- Welche Kostenarten werden dabei betrachtet? Entscheidet der Einkäufer aufgrund des Stückpreises oder des Verwendungspreises?

Aus den Antworten auf diese und viele weitere Fragen leitet ein Lösungsverkäufer ab, was für den Kunden ein echter Mehr-Nutzen ist.

Lösungen statt Produkte verkaufen

Einige Verkäufer von IT- beziehungsweise Softwareunternehmen mögen nun denken: Wozu muss ich das alles wissen, wenn ich zum Beispiel einem Kunden ein CAD-Programm statt wie bisher als eine auf den eigenen Servern gespeicherte On-premise-Lösung als eine in der Cloud gespeicherte SaaS-Lösung verkaufen möchte? Dann ist den Entscheidern doch klar, was die Vorzüge sind. Nein, denn nicht alle Top-Entscheider sind IT-Experten, die wissen: Eine SaaS-Lösung kann regelmässig aktualisiert werden, ohne dass IT-Mitarbeiter tagelang damit beschäftigt sind, das Update zu installieren. Und nicht allen Entscheidern ist bewusst, dass Cloud-Lösungen oft mehr Datensicherheit bedeuten – unter anderem, weil die Notwendigkeit für lokale Backups entfällt.

Solche Kaufargumente sollte ein Verkäufer sich im Vorfeld kundenbezogen bewusst machen, damit er den Entscheidern aufzeigen kann, warum seine SaaS-Lösung die betriebswirtschaftlichste und preiswerteste ist – obwohl auf Dauer höhere Lizenzkosten anfallen.


Industriekunden interessieren sich für die reinen Anschaffungs- oder Beschaffungskosten meist nur am Rande. Viel wichtiger sind für sie die Fragen:

- Erreiche ich mit der vorgeschlagenen Lösung meine Ziele? Und:

- Wie hoch sind die Total Costs of Ownership?

Das heisst: Mit welchen Gesamtkosten muss ich im Verlauf der Nutzungsdauer der gewählten Lösung rechnen?

- Welche Fixkosten und variablen Kosten kommen auf mich zu?

- Wie hoch ist der Wartungsbedarf – an Zeit und Geld?

- Wie zeitaufwändig ist das Umstellen oder Updaten?

- Wie hoch ist der Schulungsaufwand für meine Mitarbeiter?

All diese Fragen stellen sich Kunden bei der Kosten-Nutzen-Abwägung, die sie vor der Kaufentscheidung vornehmen.

Die preiswerteste Lösung für den Kunden erarbeiten

Denn anders als von vielen Verkäufern vermutet, lautet das oberste Ziel der Unternehmen nicht: Kosten senken. Ihr oberstes Ziel ist: (möglichst viel) Gewinn erwirtschaften. Die Kostensenkung ist nur ein Weg, um dieses Ziel zu erreichen. Der langfristig erfolgreichere Weg ist entweder mehr verkaufen – zum Beispiel, indem das Unternehmen sich neue Kundengruppen erschliesst – oder eine höhere Gewinnmarge erzielen – zum Beispiel, weil die Problemlösungen des Unternehmens den Zielkunden einen noch grösseren oder greifbareren Mehrwert als bisher bieten. Das sollten sich Verkäufer regelmässig vor Augen führen. Denn hieraus ergeben sich für sie ganz neue Wege, Kunden den Mehrwert ihrer Problemlösungen aufzuzeigen, und die Chance, endlosen Kostendebatten zu entgehen.

Hierfür ein Beispiel: Ein Unternehmen nutzte bisher für die Intralogistik beziehungsweise Warenwirtschaft sowie den Vertrieb separate Softwarelösungen. Diese kosteten im Schnitt pro User 50 Franken Lizenzgebühr pro Monat. Verkäufer Müller möchte dem Unternehmen nun eine integrierte ERP-Lösung verkaufen für 60 Frankenpro Monat und User. Schlägt Müller dies dem Einkäufer vor, wird dieser vermutlich mehr oder minder deutlich erwidern, dass diese 20 Prozent teurer ist.


Weiss der Verkäufer jedoch aufgrund seiner Vorinformation, dass das Unternehmen ein Qualitätsproblem hat und deshalb die Prozesseschritte senken möchte, um die möglichen Fehlerquellen zu reduzieren, dann kann seine Verkaufsargumentation lauten, dass die Nutzung einer integrierten Lösung dazu führen wird, dass der Datentransfer und somit ein Arbeitsschritt entfällt. Das senkt die Personalkosten und die Fehlerwahrscheinlichkeit. Zudem können standardisierte Schnittstellen für Bestellungen die Lieferzeiten senken, wodurch das Unternehmen für neue Kundengruppen attraktiv wird.

Das Mehr an Nutzen veranschaulichen

Wenn der Verkäufer so argumentiert, ist die Wahrscheinlichkeit gross, dass die von ihm vorgeschlagene Lösung aus Einkäufersicht plötzlich die preiswertere Lösung ist, denn sie hilft dem Unternehmen, seine Ziele zu erreichen. Das heisst: Je besser ein Verkäufer die Herausforderungen, vor denen sein Kunde steht, dessen Ziele, Marktposition und Prozesse kennt, umso leichter kann er die für ihn passende Problemlösung entwerfen und ihm den Mehrwert der angebotenen Lösung vor Augen führen.


«Der Kunde braucht keine Bohrer, sondern Löcher.» Er braucht also Lösungen – diese alte Verkäuferweisheit sollten sich Verkäufer in der IT-Branche immer wieder vor Augen führen. Denn dann können sie ihren Kunden nicht nur mehr verkaufen, sondern auch bessere Preise erzielen.

10 Umsatzkiller im B2B-Vertrieb

Vertriebsmitarbeiter begehen im Kundenkontakt oft folgende Fehler, die letztlich Auftrags- und Umsatzkiller sind.

Umsatzkiller 1: Die Vertriebsmitarbeiter präsentieren den (Noch-nicht-)Kunden Produkte statt anwendungsorientierte Lösungen für die gesamte Nutzungsdauer. Betriebswirtschaftliche Argumentationen zu den Life Cycle Costs und Total Costs of Ownership fehlen.

Umsatzkiller 2: Die Verkäufer führen den Kunden nicht plastisch vor Augen, welchen geldwerten Nutzen ihnen ihr Unternehmen zum Beispiel beim Optimieren der Arbeitsabläufe, Verbessern des Services, Qualifizieren der Mitarbeiter usw. bietet.

Umsatzkiller 3: Die Verkäufer kennen Umfang und Nutzen der eigenen Serviceleistungen nicht. Sie geben dem Kunden Leistungsversprechen, die ihr Produkt oder ihre Organisation nicht erfüllen können.

Umsatzkiller 4: Service und Vertrieb arbeiten nicht Hand in Hand.

Umsatzkiller 5: Der (After-Sales-)Service wird nicht strategisch genutzt, um Zusatz- und Hochverkäufe zu erzielen sowie Folgeaufträge zu generieren.

Umsatzkiller 6: Überprüfbare Servicestandards und klar definierte Service Packages fehlen.

Umsatzkiller 7: Der Vertrieb erstellt keine Leistungsbilanz über die (kostenfrei und ohne vertragliche Verpflichtung) erbrachten Zusatzleistungen.

Umsatzkiller 8: Service und Vertrieb reagieren nur auf Beschwerden, statt aktiv dafür zu sorgen, dass die Kundenzufriedenheit gewahrt bleibt.

Umsatzkiller 9: Die persönlichen Bedürfnisse der Ansprechpartner beim Kunden (z.B. ihr Wunsch nach Anerkennung und Bedürfnis, die eigenen Entscheidungen abzusichern) werden nicht ausreichend berücksichtigt.

Umsatzkiller 10: Die (persönliche) Betreuung im After-Sales-Bereich zielt nicht darauf ab, Kundenloyalität aufzubauen, so dass der Kunde auch bei einem scheinbar günstigeren Angebot der Konkurrenz seinem Partner treu bleibt.

Der Autor

Peter Schreiber ist der Inhaber des auf den B2B-Vertrieb spezialisierten Beratungsunternehmens Peter Schreiber & Partner, Ilsfeld (D). Am 17./18. März sowie am 17./18. September 2020 leitet er an der ZFU International Business School in Rüschlikon (CH) jeweils ein offenes Seminar «Neukundengewinnung und Umsatzsteigerung – aber nicht über den Preis!». Nähere Infos finden Interessierte auf der Webseite www.schreiber-training.de in der Rubrik Seminare.


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