Vom Lager über die Cloud zum Drink
Quelle: Yourbarmate

Start-up Yourbarmate

Vom Lager über die Cloud zum Drink

Wer denkt, die Bewirtschaftung einer oder mehrerer Bars in einem Gastronomiebetrieb sei eine rein analoge Angelegenheit, macht die Rechnung ohne den Wirt, denn dieser hat zunehmend ein Interesse daran, die Prozesse zu digitalisieren.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2019/10

     

In Zürich entwickeln Kenner der lokalen Gastro-Szene eine Software, die den Anspruch hat, die Logistik-­Prozesse in Bars und Clubs oder an Festivals zu vereinfachen und zu automatisieren. Julian Geiser, Gründer des Start-ups Yourbarmate, erklärt den Gedanken dahinter: "Die Idee entstand vor rund zwei Jahren. Ich arbeitete während meinem Studium in Marketing Management nebenher im Zürcher Club Hive und kümmerte mich um das Lager und die Logistik. Wir arbeiteten damals mit Strichlisten, wenn es darum ging, Getränke und Verbrauchsmaterial aus dem Lager zu den verschiedenen Bars im Club zu verschieben. Danach haben wir die Listen in Excel-Tabellen abgetippt. Daraus konnten wir dann wiederum ablesen, bei welchen Lieferanten wir wieviel bestellen müssen. Es war ein Chaos. Vielfach war es so, dass die Lieferungen nicht mit den Bestellungen übereinstimmten. Das Grundproblem war, dass an vielen neuralgischen Punkten in den Prozessen Menschen standen und somit potenzielle Fehlerquellen." Ein erster Schritt, um diese Situation zu entschärfen, war laut Geiser, eine Excel-Lösung zu konzipieren, die gewissen Schritte automatisieren sollte. Man habe dann aber im Gespräch mit anderen Betrieben gemerkt, dass diese mit denselben Problemen kämpften, weil kaum jemand ein System im Einsatz hatte, das wirklich funktionierte.

Eine Lösung für ein spezifisches Problem

Aus der Not wollte Geiser eine Tugend machen. Zusammen mit Juri Tanner und Samuel Gmür begann er, an einer Software-Lösung für das Problem zu tüfteln. Später erweiterten Sie das Team um Nicola Schneider und Anatol Gschwind. Als Geiser dann den Software-Entwickler Maximilian Antoni kennenlernte, wurde dieser zunächst in beratender Funktion ins Boot geholt. "Wir hatten zuerst eine Agentur in Berlin mit der Konzeption der Lösung beauftragen wollen, haben dann allerdings gemerkt, dass wir eine solche aus finanzieller Sicht auch selber entwickeln könnten. Und so kamen wir zum Schluss, Max mit der technischen Umsetzung unserer Idee zu betrauen", erzählt Geiser. Derweil fungierten die Gastronomen Nicola Schneider und Anatol Gschwind als Berater. "Die beiden sind Inhaber mehrerer Betriebe und wir können unsere Systeme dort live testen, was für uns enorm wichtig ist", so Geiser weiter. Der erste Prototyp von Yourbarmate sei denn auch quasi im Hive entwickelt worden, fügt Antoni an: "So bin ich beispielsweise vorbeigegangen, wenn eine Lieferung eintraf, und habe mit Notebook und Tablet die Waren eingebucht. Dadurch konnte ich sehen, was wie funktioniert und wie man es besser beziehungsweise effizienter machen könnte."


Der bekannte Zürcher Club ist denn auch seit rund einem Jahr Kunde des Start-ups, und laut Geiser ging die Entwicklung der Software nicht zuletzt auch dank der engen Zusammenarbeit mit den Betreibern zügig voran: "Wir haben im Mai letzten Jahres mit dem Konzept begonnen und durften eine erste Testversion der Lösung im Hive einführen. Diese war noch rudimentär und hatte im Grunde genommen nur eine Funktion, nämlich aufzuzeichnen, wie viel Material während eines Abends aus dem Lager an die Bars verschoben wurde. Nach und nach kamen noch das Bestellwesen, die Inventarisierung und weitere Funktionen hinzu, sodass wir bereits im September ein verkaufsfähiges Produkt vorweisen konnten."

Einfachheit als Grundprinzip

Die Einfachheit der Nutzung wurde von Beginn weg zum Grundprinzip erhoben, wie Max Antoni erklärt: "Unsere Lösung ist auf Benutzerfreundlichkeit ausgelegt. Deshalb haben wir in einem ersten Schritt die einzelnen Funktionen, die es in einem Club oder an einem Festival gibt, genau angeschaut. Da gibt es die Barmitarbeiter, die Runner, die Lageristen und die Manager. Für jede dieser Funktionen haben wir also eigene Ansichten entwickelt, so dass die jeweilige Person nur die Inhalte sieht, die für ihre Funktion relevant sind. Dadurch ist auch der Lernaufwand gering, denn die meisten Funktionen sehen nur einen Screen, vielleicht zwei." So habe die Ansicht für die Runner nur ein paar wenige Knöpfe, während der Manager eine umfassende Sicht auf die Zahlen habe, die das System zusammenträgt, wie Geiser weiter ausführt. Bei Yourbarmate handelt es sich um eine rein Cloud-basierte Lösung, die bei Amazon gehostet und auf jedem mobilen Endgerät lauffähig ist. "Solange das eingesetzte Gerät einen Browser hat, kann man unsere Lösung nutzen. Die Kunden müssen also keine Software lokal installieren oder Patches aufspielen.", so Antoni. "Wir haben aber auch Offline-Funktionen eingebaut. Wenn also keine Internet-Verbindung besteht, beispielsweise in einem Keller, dann kann man trotzdem normal arbeiten. Die Daten werden dann sofort mit der Cloud synchronisiert, sobald das Gerät wieder Empfang hat."


Noch beschränkt sich das System auf die Erfassung von Getränken und Verbrauchsmaterial, laut Geiser könne man sich aber durchaus vorstellen, in einem weiteren Schritt auch Esswaren hinzuzufügen, um die Lösung auch für Restaurants interessant zu machen: "Das Problem mit den Esswaren ist im Grunde genommen das Ablaufdatum. Um dieses im Auge zu behalten braucht es spezifische Prozesse." Und Antoni gibt zu bedenken, dass Esswaren oft in verschiedenen Arten von Verpackungen und unterschiedlichen Masseinheiten konfektioniert würden, was wiederum die Komplexität erhöhe.
Das Start-up bietet sein System vermehrt auch für Festivals an. Die Organisatoren können dieses beispielsweise für einen Monat mieten. Die Software wird dann rund zwei Wochen vor der Veranstaltung installiert und getestet, danach wird das Personal geschult. "Gerade an Festivals, wo es oft recht chaotisch zu und her geht, kann Yourbarmate zur Übersicht und Kontrolle über die Abläufe beitragen", sagt Geiser. Mittlerweile hat Yourbarmate das Angebot für Festivals weiter ausgebaut und bietet zusätzlich zum System auch einen Pool an erfahrenen Runnern an, also diejenigen Leute, die dafür zuständig sind, Getränke und Verbrauchsmaterial vom Lager aus je nach Bedarf an die verschiedenen Bars zu verteilen. Auch Tablets samt SIM-Karte kann das Unternehmen zur Miete anbieten, dadurch entfällt für die Veranstalter die Beschaffung von Hardware.


Ebenfalls relativ simpel ist das Preismodell von Yourbarmate. Es gibt ein Basispaket, in dem eine Bar und ein Lager enthalten sind und für das die Kunden entweder monatlich oder jährlich bezahlen können. Jedes weitere Lager und jede zusätzliche Bar kosten dann entsprechend mehr. Die Kosten des Abonnements richten sich also nach der Grösse des Betriebes. Neu ist aber auch eine abgespeckte und dadurch auch günstigere Version der Lösung erhältlich, die speziell auf Bars ausgerichtet ist. Wie Julian Geiser erklärt, bräuchten diese nämlich in der Regel keine Runner, weil sie nur eine Bar hätten, wo Getränke ausgeschenkt werden. Oft verfügten solche Lokale auch nicht über ein Lager, weil alle Getränke direkt an der Bar gelagert würden.

Ausbaustrategie

Gemäss Julian Geiser ist das noch junge Unternehmen zurzeit komplett eigenfinanziert, und das soll in absehbarer Zeit auch so bleiben: "Wir wollen unabhängig bleiben und Yourbarmate in unserem Sinne weiterentwickeln. Deshalb fliesst praktisch alles, was wir umsetzen, in das Produkt, denn wir haben noch sehr viele Ideen." Ein Thema sei beispielsweise die direkte Anbindung an die Systeme der Lieferanten. Momentan sei das Bestellwesen noch so gelöst, dass eine Excel-Liste mit den benötigten Waren via E-Mail an die Lieferanten geschickt wird. Auch Anbindungen an verschiedene Kassensysteme seien angedacht, um den Automatisierungsgrad der Lösung weiter auszubauen.


Wie Maximilian Antoni erörtert, kommen auch viele Inputs von den Kunden: "Es gibt schon eine stattliche Liste mit Wünschen von Nutzern, darunter etwa ein Pfandsystem für die Rückgabe von Leergut. Viele Energie ist darin geflossen, dass System flexibel zu gestalten, damit jeder seine Arbeitsabläufe abbilden kann. Und die sind erstaunlich verschieden. Es gibt beispielsweise Betriebe, die viel seltener als andere Bestellungen aufgeben oder ein Inventar machen." Laut Julian Geiser werde die Lösung ohnehin aufgrund der Bedürfnisse und der Rückmeldungen der Kunden weiterentwickelt: "Es ist nicht so, dass wir eine Idee für ein Feature haben und dieses dann einfach implementieren. Wir klären zuerst ab, ob die Nutzer diese Funktion überhaupt benötigen. Das Ziel ist, dass die Kunden ihre Prozesse nicht an unser Lösung anpassen müssen, sondern dass sich unser Produkt an die Prozesse der Kunden anpassen kann."
Auf die Marktsituation angesprochen, sagt Julian Geiser aus, dass es noch keine vergleichbaren Lösungen gebe: "Es gibt schon ähnliche Tools, allerdings decken diese nicht den Funktionsumfang ab, den wir mit Yourbarmate anbieten, vor allem nicht zu dem Preis. Und die Komplettlösungen, die wir kennen, setzen in der Regel die Nutzung bestimmter Kassensysteme voraus. Wir aber möchten unseren Kunden maximale Flexibilität bieten. Die Zukunft liegt meiner Ansicht nach in den Schnittstellen zu anderen Systemen. Daran werden wir vermehrt arbeiten." Noch erreicht Yourbarmate seine Kunden über Mund-zu-Mund-Propaganda, das Potenzial für eine weitere Expansion auch über die Landesgrenzen hinaus ist also noch gross. Zurzeit arbeitet das Team von Yourbarmate daran, die Bedienbarkeit weiter zu verbessern: "Das Ziel ist, dass sich die Leute auf unserem Portal registrieren und sofort damit beginnen können, mit der Lösung zu arbeiten, ohne dass wir eingreifen müssen", so der Plan von Geiser und seinen Kollegen. (luc)


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