Sie machen mehr als nur Google und Konsorten lernfähig
Quelle: IDSIA

Sie machen mehr als nur Google und Konsorten lernfähig

Von Daniel Meierhans

Der Swiss ICT Special Award bringt ein Tessiner Institut ins Rampenlicht, das nicht nur für die Entwicklung der aktuellen AI-Technologien von ­Google und Konsorten ent­scheidend ist. Vom IDSIA profitieren auch Schweizer Unternehmen ganz direkt.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2016/10

     

"Die Schweiz ist das Land mit der besten Forschung weltweit!" Jürgen Schmidhuber ist ein Mann der klaren Statements. Und der geborene Münchner untermauert seine Aussage auch gleich mit Zahlen und Fakten: Die meisten Nobelpreise, die meisten Patente, die meisten wissenschaftlichen Zitate. Immer pro Kopf natürlich. Und diese Spitzenstellung ist für Schmidhuber nicht einfach nur Zufall oder glückliche Fügung, sondern hat einen zwingenden Grund: Die Schweiz investiert pro Einwohner wesentlich mehr Geld in die Forschung als andere Länder.


Diese Passion, Zusammenhänge in Zahlen und Fakten zu finden, ist quasi Schmidhubers Berufung. Der wissenschaftliche Leiter des Istituto Dalle Molle di Studi sull’Intelligenza Artificiale (IDSIA, USI & SUPSI) im Luganeser Vorort Manno leistete bahnbrechende Arbeiten unter anderem zum sogenannten Deep Learning. Diese maschinelle Lernmethode hierarchisiert neuronale Netze in Abstraktionsschichten so, dass diese sich selbständig ein Verständnis der übergeordneten Konzepte erarbeiten können. Das Teilgebiet, in dem derzeit die Post abgeht, ist die Mustererkennung. Ob Sprache, Bilder, Gesichter oder Objekte: Lernfähige Software bringt sich schrittweise selber bei, in den binären Datensätzen Muster zu erkennen und damit wichtige Probleme zu lösen.

Innovation auf allen Ebenen

"Den Unterschied macht die Schweiz aber nicht nur durch das Geld. Innovation ist hierzulande auf allen Ebenen ein grosses Thema. Beim Bund, in den Kantonen und Gemeinden, in den Hochschulen und in den Unternehmen", wirft Luca Maria Gambardella ein. Der Kanton Tessin habe letztes Jahr beispielsweise ein spezielles Wirtschaftsinnovationsgesetz geschaffen, das Verbesserung der Rahmenbedingungen mit gezielten Massnahmen für innovative Firmen und Projekte kombiniert, wie der Direktor des IDSIA unterstreicht.


Gambardella hat Schmidhuber vor 20 Jahren als Co-Direktor ins Tessin geholt, als die Gruppe noch klein und wenig bekannt war. Sein Spezialgebiet ist die Optimierung. Er hat unter anderem das ACS (Ant Colony System) entwickelt. Das Agenten-basierte System simuliert die Pheromon-vermittelte Kommunikation von Ameisen bei der Futtersuche. Damit lassen sich sehr rasch gute Lösungen für Probleme finden, die sich nicht oder nur mit enormem Aufwand eindeutig berechnen lassen. Dazu gehört beispielsweise das bekannte Problem des Handelsreisenden, der seine ideale Tagesroute finden will. Damit ist auch Gambardella in einem Gebiet der AI (Artificial Intelligence) aktiv, das seit einigen Jahren als äusserst «hot» gilt: der Schwarmintelligenz.

Die Intelligenz in AlphaGo

Das 1988 vom italienischen Cynar-Erfinder und Wissenschaftsförderer Angelo Dalla Molle gegründete Institut gehört heute zu den renommiertesten AI-Forschungsstätten weltweit. Grundlegende Technologien von Google, Facebook, Microsoft oder IBM wurden in Manno entworfen. So beruhen etwa die Spracherkennung von Google und die neu entwickelten AI-Fähigkeiten von Apples iOS auf den "deep learning"-LSTM-Netzen (Long short-term memory), die Schmidhubers Gruppe seit den frühen 1990ern entwickelt hat. Wie wichtig die Arbeit der Tessiner Forscher ist, zeigt auch die Tatsache, dass die ersten Doktoren der Künstlichen Intelligenz des Start-ups DeepMind sich einst in Schmidhubers Forschungsgruppe kennenlernten; einer wurde Mitgründer, einer erster Angestellter. Weitere Ex-Doktoranden stiessen später zum Start-up. DeepMind, welches 2014 für über 600 Millionen Dollar von Google aufgekauft worden ist, hat in diesem Frühjahr weltweit Schlagzeilen gemacht, als sein AlphaGo-Programm einem der besten Profis des komplexen asiatischen Strategie-Brettspiels "Go" keine Chance liess.

Grundlagen und Praxis vereint

Aber die Technologien aus Manno sind nicht nur für die US-Tech-Riesen mit ihren immensen Rechenkapazitäten interessant. Auch Schweizer Firmen und Behörden profitieren ganz direkt. Zu den Spezialitäten des IDSIA gehört nämlich eine in ihrer Art einmalige Verbindung zwischen wissenschaftlicher Grundlagenforschung und praktischer Anwendung. Die Forschungsresultate sollen in die Praxis umgesetzt werden, so der Anspruch. Dabei wird das sowohl in die Università della Svizzera italiana (USI) wie auch in die Fachhochschule Scuola universitaria professionale della Svizzera italiana (SUPSI) integrierte Institut vom Schweizerischen Nationalfonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung (SNF) genauso unterstützt wie von der Kommission für Technologie und Innovation (KTI).

Entscheidender Vorsprung durch KI

Die Bandbreite der Schweizer Industrie-Partner reicht von Maschinenbauern wie Georg Fischer (Agie Charmilles) oder Astes4 über den Detailhändler Migros und den Energiekonzern Alpiq bis hin zum kleinen Dorfhotel. Für Verteilorganisationen werden klassische Handelsreisendenprobleme gelöst und in der industriellen Produktion Konstruktions- oder Prozess-Herausforderungen gemeistert.

Aus den Zusammenarbeiten können aber auch vollständig neuartige Produkte entstehen, die den Unternehmen einen entscheidenden Vorsprung ermöglichen. Die gemeinsam mit Alpiq entwickelte Energiesteuerungstechnologie GrindSense beispielsweise misst, lernt und antizipiert das Nutzerverhalten völlig autonom und kann so den Stromverbrauch und die Produktion optimal aufeinander abstimmen. Bescheidener, aber in seiner Branche nicht weniger bahnbrechend, ist das "Smart Sleeping Hotel" eRoom in der Bündner Berggemeinde San Bernardino. Dank AI funktionieren die administrativen Abläufe der 19-Zimmer-Herberge von der Reservierung bis zum Checkout vollautomatisch. Für den Gast ist das bequemer, für den Hotelier wesentlich kostengünstiger.

Intelligente Experten für alle Fälle

In diesem Sommer konnte zudem die 10-jährige Zusammenarbeit mit dem Bundesamt für Rüstung armasuisse gefeiert werden. In dieser steht die Entwicklung intelligenter Entscheidungsunterstützung-Tools im Zentrum, welche Big Data mit AI verbinden. Ziel ist eine allgemein verwendbare Software, mit der sich einfach künstliche Experten für unterschiedlichste militärische Fragenstellungen erzeugen lassen. Im Rahmen eines NATO-Experiments hat sich das System bereits auf gleicher Höhe wie seine menschlichen Vorbilder erwiesen.

Eine zündende Idee und ein Anruf

Indem Gambardella und Schmidhuber durch derartige Zusammenarbeiten mithelfen, dass die Schweizer Wirtschaft ihren Innovationsvorsprung weiter ausbauen kann, schliessen sie den Kreis. Denn schliesslich ist es die erfolgreiche Wirtschaft, die es der Schweiz ermöglicht, mehr als andere Länder in die Forschung zu investieren. Und für ein Unternehmen ist es auch gar nicht so schwierig, mit dem IDSIA in Kontakt zu kommen, wie Gambardella anmerkt: «Wenn jemand mit uns zusammenarbeiten will, genügt eine E-Mail oder ein Telefon – und eine spannende Idee natürlich.»

Swiss ICT Special Award

Die Jury des Swiss ICT Award zeichnet in diesem Jahr das Istituto Dalle Molle di Studi sull'Intelligenza Artificiale (IDMSIA) für seine weltweit richtungsweisenden Arbeiten auf dem Gebiet der Künstlichen Intelligenz mit einem Special Award aus. Der Swiss ICT Special Award wird seit 2013 an Personen und Organisationen für herausragende Leistungen für die Schweizer ICT vergeben. Die bisherigen Preisträger sind Virtopsy (virtuelle Autopsie, Institute für Rechtsmedizin der Universitäten Zürich und Bern, 2015), Martin Odersky (Begründer der Programmiersprache Scala, EPFL, 2014) und Parldigi (Parlamentarische Gruppe Digitale Nachhaltigkeit, 2013).

Sie können am 15. November an der Gala im KKL Luzern dabei sein, wenn Luca Maria Gambardella und Jürgen Schmidhuber den Special Award entgegennehmen und wenn die besten Projekte und spannendsten Newcomer der Schweiz mit dem Swiss ICT Award ausgezeichnet werden.


Sichern Sie sich Ihren Platz!
www.swissict-award.ch/aktuell/tickets


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