CIO-Interview: "Ich sehe viel Potential beim Thema Voice"

Pablo Castillo, CIO der Hotelplan-Gruppe, erklärt im Interview, wie man mit Hilfe von Alexa und Co. Flüge findet und warum der IT-Betrieb für die Umstellung auf SAP Hana unterbrochen wurde.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2019/03

     

"Swiss IT Magazine": Sie haben die IT der Hotelplan Group Ende 2014 übernommen, und dann relativ rasch eine Digital-­Business-Development-Einheit gegründet, um Innovationen voranzutreiben. Warum dieser Schritt damals?
Pablo Castillo: Die Abteilung wurde gegründet, da sich der Markt zu dieser Zeit in einem enormen Umbruch befand und sich das Business immer schneller bewegte. Daher war für Innovation im Tagesgeschäft kaum mehr Platz. Wir waren aber der Meinung, dass wir eine Abteilung brauchen, die Kapazität und Mittel hat, um sich um Innovation – also Konzepte und neue Technologien – zu kümmern und herauszufinden, was funktionieren könnte oder nicht.

Haben sich Ihre Erwartungen erfüllt?
Grundsätzlich möchte ich vorausschicken, dass ich eigentlich kein Fan von zu vielen Stabstellen bin. Zudem sollten Innovationen nicht nur an einem Punkt im Unternehmen stattfinden. Das Positive an dieser Abteilung: Der Innovations-Samen wurde im Unternehmen gesät. Die Mitarbeitenden sahen, dass etwas geschieht, es wurde Interesse geweckt. Inzwischen geschieht Innovation dank dieser Initialzündung oft direkt in den verschiedenen Abteilungen, im Business und auch im Management. Der Prozess, sich vom traditionellen Denken zu lösen, wurde durch die Abteilung angestossen.


Konnte die Einheit letztlich auch Innovation an den Markt bringen?
Ja, es wurden verschiedenste Prototypen in Bereichen wie Voice, Blockchain oder Virtual Reality gebaut. Als Beispiel haben wir eine VR-Lösung gebaut, die letztlich in 32 Filialen ausgerollt wurde und die bei den Kunden sehr gut angekommen ist. Leider war zu wenig Content vorhanden: Zwar konnte man sich beispielsweise virtuell durch ein Kreuzfahrtschiff bewegen, doch für viele andere Reise­erlebnisse fehlten die Inhalte. Dies führte schliesslich zum Teil zu Frustration bei den Kunden und auch bei unseren Reisebüromitarbeitenden.
Also gibt es die Lösung nicht mehr?
Doch, wir setzen sie noch in zehn ­Reisebüros ein und dann vor allem auch an Events und Messen.

Und die Digital-Business-Development-­Abteilung?
Diese Abteilung haben wir in der Ursprungsform nicht mehr, denn die Einheit hat ihren Zweck als Innovations-Inkubator erfüllt und nun wird die Innovation ­direkt in der Linienorganisation gelebt.


Wo sind Innovationen in Ihren Augen einfacher zu realisieren: online oder im physischen Reisebüro?
Ich denke, das hängt weniger davon ab, wo man Innovationen umsetzen möchte. Entscheidend bei der Entwicklung von technologischen Innovationen ist in meinen Augen, die Kunden und Mitarbeiter dazu zu bringen, diese Innovationen auch anzuwenden und zu benutzen. Nur dann ist Innovation erfolgreich. Nicht umsonst sagt man, dass sich Technologie zwar exponentiell entwickelt, der Mensch aber nur linear – sprich: Der Mensch braucht länger, sich neuen technologischen Gegebenheiten anzupassen.
Also ist die grosse Herausforderung bei technologischen Neuentwicklungen, den Benutzer im Zentrum zu behalten?
Genau, man muss den Menschen im Zentrum behalten. Das fängt bereits mit den eigenen Mitarbeitenden an, denn man darf nicht vergessen: Die Tourismus-Branche ist zwar oft Vorreiter, wenn es um digitale Innovation geht, zum Teil ist sie aber noch papierverliebt. Der Wandel muss auch in den Köpfen stattfinden.

Gibt es Innovationen, die Sie aktuell umsetzen und die in absehbarer Zukunft für die Kunden sichtbar werden?
Bei uns werden die digitalen Plattformen ständig überarbeitet und erweitert. In dem Zusammenhang wird sich unser Beratungsangebot dahingehend verändern, dass es noch stärker digital gestützt werden soll. Und ich persönlich sehe grosses Potential beim Thema Voice, auch wenn hier der Schweizer Markt noch nicht ganz bereit ist.


Was meinen Sie mit Voice?
Die Nutzung von digitalen Assistenten wie Alexa oder Google Home. Wenn ich anschaue, was Google in dem Bereich bereits macht, kommt hier noch einiges auf uns zu. Es wird nicht mehr allzu lange gehen, dass ich meinen digitalen Assistenten wissen lassen kann, dass ich einen Flug von Zürich nach Frankfurt brauche, er mir die Optionen aufzeigt und ich den passenden Flug über dieses Sprach-Interface gleich buche.
Ist das Zukunftsmusik?
Überhaupt nicht – Google hat diese Möglichkeit vor nicht allzu langer Zeit für American Airlines und United in den USA eingeführt. Wir selbst haben einen Prototypen für unsere Ferienwohnungsplattform Interhome gebaut, für den wir den digitalen Assistenten mit dem Smart TV zuhause koppeln. Eine Alexa- oder Google-Home-Box ist als Inspirationsquelle denkbar schlecht geeignet. Also haben wir uns überlegt, wie wir als Beispiel eine Voice-Anfrage nach einer Ferienwohnung für zwei Personen im Sommer in der Toscana visualisieren können. Umgesetzt haben wir das so, dass wir die gesprochene Anfrage für unsere API übersetzt haben – im gemachten Beispiel also "Sommer", "Ferienwohnung", "Toscana" und "zwei Leute" – und wir dann auf dem TV die passenden Produkte dargestellt haben.

Und? Hat der Prototyp funktioniert?
Ja, er hat funktioniert, und wir würden gerne in Zukunft ein Projekt zu diesem Thema initiieren sobald der Markt dafür reif ist. Dies wird aufgrund der aktuellen Verbreitung der digitalen Assistenten in der Schweiz noch einige Jahre dauern.


Wie gross ist die Hürde Schweizerdeutsch?
Wenn man sich die Sprachsteuerung beispielsweise der SBB anschaut, die mit verschiedenen Dialekten umgehen kann, ist man schon ziemlich weit. Englisch hat letztlich auch viele Dialekte. Die Sprache ist nicht unbedingt das Problem, wir sehen die Herausforderung eher bei der Akzeptanz der Nutzer. Doch wir sind überzeugt, die Akzeptanz wird wachsen, denn die Sprache ist die natürlichste Eingabemethode, die der Mensch besitzt.
Nochmals zurück zum Online-Geschäft: Wie schafft man es dort, sich von den Mitbewerbern zu differenzieren, und wo liegen online Ihre grossen Herausforderungen?
Content ist hier sicherlich das ganz grosse Thema – mit Content erreicht man Differenzierung und zudem findet aktuell ein Paradigmenwechsel statt. Gab es in den letzten Jahren bei Tour Operators den Trend, immer mehr und noch mehr Hotels aufzunehmen, um möglichst alles anbieten und das Angebot mit möglichst ausgeklügelten Filtern eingrenzen zu können – was sehr aufwendig ist, vor allem bezüglich Pflege der Daten – geht der Trend aber eher wieder in eine andere Richtung: Eine kleinere Auswahl, die dem Nutzer dafür personalisiert vorgelegt wird. Das Stichwort lautet hier kuratierter Content. Für uns als Generalisten, der von einfachen Flügen über Pauschalreisen bis hin zu komplexen Individualreisen alles verkauft, ist eine der grossen Herausforderungen, das alles auf einer Plattform mit derselben Technologie abzubilden.


In Zusammenhang mit der Reisebranche spricht man nach wie vor oft vom Online-Geschäft zum einen und vom klassischen Reisebürogeschäft zum anderen. Findet diese Trennung auch Technologie- und IT-seitig statt?
Die beiden Welten verschmelzen zusehends. Früher gab es in den Reisebüros ganz klassisch interne Reisebüro-Systeme – die sogenannten Global Distribution Systeme (GDS) wie Amadeus, Galileo und Sabre – und für den Kunden die Webseiten. Heute aber nutzen die Reisebüros zunehmend dieselben Web-Interfaces wie die Endkunden, angereichert um zusätzliche Funktionalitäten. Das ist letztlich auch den Weg, den wir einschlagen wollen, denn der Unterhalt reduziert sich, auch wenn die Komplexität steigt.
Können Sie Ihre grundlegende IT-Infrastruktur ein wenig ausführen?
Die Hotelplan-Gruppe unterhält aktuell noch verschiedene Infrastruktur-Standorte auch ausserhalb der Schweiz. Ein wichtiger Standort ist dabei aber unser Hauptsitz in Glattbrugg, wo wir zwei Rechenzentren unterhalten. Die Infrastruktur-Strategie lautet aktuell, Standardisierung voranzutreiben und wo opportun, Insourcing zu betreiben. Das Ziel: Wir wollen unsere Infrastruktur vereinfachen und konsolidieren, ohne Stabilität und Flexibilität einzubüssen.

Und dann wurde jüngst ein grosses SAP-Projekt abgeschlossen, richtig?
Das ist richtig. Ende 2018 wurde die Migration von Oracle auf SAP Hana abgeschlossen, wir nutzen heute also In-Memory-Technologie. Das Projekt hat uns ein gutes Jahr beschäftigt.


Können Sie beschreiben, wie Sie das Migrationsprojekt angegangen sind?
Wir betreiben im Wesentlichen zwei Core-­Plattformen: Eine für das Ferienwohnungsgeschäft, sprich Interhome und Inter Chalet, und eine zweite für die übrigen Geschäftseinheiten. Migriert haben wir zuerst die Interhome/Inter-Chalet-Plattform, weil das Risiko bei allfälligen Schwierigkeiten mit dieser Plattform kleiner war.

Gab es Schwierigkeiten?
Nein, aber die Umstellung hatte eine fast 24-stündige Downtime zur Folge. Wir hätten auch im laufenden Betrieb umstellen können, doch dazu hätten wir die ganze Infrastruktur replizieren müssen, was zu grosse Kosten verursacht hätte. Also haben wir uns in einer Kosten-/Nutzen-­Abwägung entschieden, den Betrieb zu unterbrechen, dafür die Komplexität zu reduzieren. Wir haben unsere Kunden informiert und dann an einem Freitagabend mit der Migration begonnen, um im Laufe des folgenden Sonntagmorgens mit allen Nacharbeiten fertig zu sein.
Was war Ihre grösste Sorge bei der Migration? Dass die Systeme nicht wie geplant funktionieren?
Nicht unbedingt, denn das konnten wir durch sorgfältige Planung steuern. Unsere grösste Sorge war, dass im operativen Geschäftsbetrieb etwas Unvorhergesehenes passiert – ein Vulkanausbruch oder ein grosses Unglück, das die Reisebüromitarbeiter gezwungen hätte, auf die Systeme zugreifen zu können, die nicht da waren. Das wäre der Super-GAU gewesen. Und die Tatsache, dass wir IT-technisch gut einen Tag lang offline waren, war dem Management und den Mitarbeitenden auch schwierig zu vermitteln.

Nun ist das Projekt abgeschlossen?
Soweit ja. Inzwischen sind wir in erster Linie zusammen mit SAP dran, die Performance zu optimieren und das Optimum aus Hana herauszuholen.


Gibt es weitere anstehende Projekte?
Unsere Projektphilosophie sieht so aus, dass wir versuchen, eher kleinere Projekte mit einer Dauer von drei bis maximal neun Monaten anzureissen. Ich bin kein Fan von riesigen, langjährigen IT-Projekten, wenn es sich vermeiden lässt. Aktuell sind wir beispielsweise daran, die Plattform für unsere Holiday Home Division zu harmonisieren. Zudem sind wir laufend damit beschäftigt, auf Veränderungen in der Reisebranche zu reagieren, die ständig im Umbruch ist. Wir fokussieren uns auch auf neue digitale Verkaufskanäle wie Google. Und dann beschäftigen wir uns mit zahlreichen kleineren internen Projekten, etwa im Bereich Kollaboration und Prozesseffizienz.
Sie sind Teil des Migros-Genossenschaft-Bundes (MGB). Wo profitieren Sie überall von Ihrem Mutterhaus?
Wir sind bezüglich IT weitgehend unabhängig vom MGB, profitieren aber sicherlich bei Themen wie der Beschaffung oder dem Lizenzwesen – so etwa beim SAP-Projekt. Zudem haben wir nicht zuletzt dank der Migros ein AAA-Rating, was sicherlich kein Nachteil ist. Ansonsten gibt es aber relativ wenig Synergien, wir benutzen eigene ERP-Systeme, ­betreiben eigene Web-Plattformen und unterscheiden uns auch sonst relativ stark von den übrigen MGB-Unternehmen.


Wie viele Leute kümmern sich um die IT und wie ist das Team strukturiert?
Im Wesentlichen gibt es in der IT der Hotelplan-Gruppe drei Hauptbereiche: Zum ersten den Bereich E-Business und Front-end, wo wir ein kleines Webteam mit 17 Leuten in der Schweiz beschäftigen und sonst stark auf Nearshoring in Russland und in Riga setzen, wo vor allem .Net- und PHP-Entwickler für uns arbeiten. Zum zweiten haben wir das Engineering- und Competence-Center mit zirka 43 Mitarbeitenden, wo SAP, unsere Reise­büroapplikation HIT, unsere Tour-Operating-Applikation Mythos und auch die Bereiche Business Intelligence und Business Objects betreut und weiterentwickelt sowie getestet werden. Und zum dritten gibt es den Bereich Technologie und Operations – sprich, die 28 Mitarbeitenden, die dafür sorgen, dass der Betrieb läuft. Alles in allem arbeiten 97 Personen in der IT, davon sind sechs Projektleiter, die als Schnittstelle zum Business fungieren und Projekte umsetzen. Daneben haben wir noch je ein IT-Team in England und in Deutschland – jeweils mit eigenem Leiter.
Fachkräftemangel ist auch bei Hotelplan Group ein Thema?
Das ist auch bei uns ein Thema, ganz klar, auch wenn unser IT-Team im Moment gut bestückt ist. Wir skalieren vor allem im Ausland, gerade im Bereich E-Business mit dem angesprochenen Near­shoring, mit dem wir gute Erfahrungen machen. Eine unserer Herausforderungen im Recruiting ist, dass Travel-Tech als Betätigungsfeld für IT-Spezialisten wenig bekannt ist. Wenn ich jemandem erzähle, dass Hotelplan Group rund 100 Leute in der IT beschäftig, ernte ich immer wieder Erstaunen – man ist sich oft nicht bewusst, wie digital die Produkte sind, die wir verkaufen. Was uns hilft, ist, dass wir Mitarbeitende, die das Business-Know-how besitzen, intern und extern weiterbilden. Das funktioniert etwa im Competence-Center oder für Projektmanagement-Stellen sehr gut.


Sie selbst sind seit 20 Jahren im Tourismus und dabei in erster Linie in der IT tätig. Was reizt Sie an Travel-Tech?
Die Reisebranche ist unglaublich dynamisch, es bewegt sich enorm viel. Man kommt mit spannenden, globalen Partnern und Märkten in Berührung: Hotels, Airlines, Mietwagengesellschaften und so weiter – ein ganzes Ökosystem, das sich immer bewegt. Und es gibt sehr spannende Projekte im Bereich Software, Web, Mobile und mehr. Und klar, ich bin im Herzen Touristiker, Tourismus ist eine faszinierende Branche.

Pablo Castillo

Pablo Castillo ist seit November 2014 CIO der Hotelplan Group und dabei auch Teil der Konzernleitung. Seinen Einstieg in den Tourismus fand Castillo nach der Wirtschaftsmatura als Quereinsteiger bei Kuoni im Tour Operating. Während seines Studiums an der Höheren Fachschule für Tourismus (HFT) in Luzern rutschte der heute 38-Jährige in die IT, wurde Projektleiter, spezialisierte sich auf das Thema E-Commerce, unter anderem bei Travelhouse und später wieder bei Kuoni, um dann letztlich 2012 als Projektleiter bei der Hotelplan-­Gruppe zu landen.


Zum Unternehmen

Der Schweizer Reisekonzern Hotelplan Group ist eine 100-prozentige Tochter des Migros-Genossenschafts-Bundes und seit 2007 als Holding organisiert. Zum Konzern gehören die Ländergesellschaften Hotelplan Suisse (mit den Marken Migros Ferien, Hotelplan, Tourisme Pour Tous, Travelhouse, Globus Reisen), Hotelplan UK, der Business Travel-Bereich mit BTA First Travel und Finass, die Holiday Home Divison mit Interhome und Inter Chalet sowie das digitale Start-up Bedfinder. Die Firma zählt knapp 2800 Mitarbeitende und machte im letzten Jahr 1,45 Milliarden Franken verrechneten Umsatz. (mw)


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