Arbeitsstunde als Massstab

Für eine aussagekräftige Analyse der Betriebskosten müssen die Mitarbeiter und deren Leistungen ins Zentrum gestellt werden.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2007/04

     

Der mit Abstand grösste Kostenfaktor fast aller Dienstleistungsunternehmen und -abteilungen sind die Löhne. Sie machen in gewissen Organisationen über 80 Prozent der Betriebskosten aus. Im Gegensatz zur herstellenden Industrie, wo Infrastruktur, Energiekosten, Materialaufwendungen, Entwicklungsausgaben und im Zuge von Outsourcing und Globalisierung immer mehr auch Halb­fabrikate von Zulieferern die Kostenseite beherrschen, haben die meisten Dienstleister relativ geringe Kapitalkosten. Bei vielen genügt ein Raum mit einer Informatikinfrastruktur, damit sie ihre Services erbringen können.
Will ein solches Mitarbeiter-zentriertes Unternehmen rentabler werden, muss es in erster Linie die Rentabilität seiner Angestellten steigern. Folgerichtig muss es dafür vor allem die Rentabilitätszusammenhänge der Mitarbeiter möglichst detailliert kennen.


Leistungserfassung als Grundlage

Diesem grundlegenden Unterschied zum Handel oder zur herstellenden Industrie muss auch eine sinnvolle Business Intelligence (BI) im Dienstleistungsbereich Rechnung tragen. Sie muss die Mitarbeiter mit ihren erbrachten Leistungen und ihren verrechenbaren Tarifen ins Zentrum der Kostenrechnung stellen. Am einfachsten gelingt dies, wenn das ganze Informatiksystem um diese Grössen aufgebaut wird. Unabdingbare Grundlage dafür ist die lückenlose und möglichst detaillierte Erfassung aller erbrachten Mitarbeiterleistungen. Auch bezahlte Perioden, während denen nichts getan wird, müssen als solche ausgewiesen werden, um später wirklich aussagekräftige Produktivitätsanalysen vornehmen zu können.
Da die Leistungserfassung für die Mitarbeiter grundsätzlich einen Zusatzaufwand bedeutet, kommt der Benutzerschnittstelle eine wichtige Rolle zu. Je unkomplizierter erfasst werden kann, desto mehr Details geben die Mitarbeiter in das System ein. Die Bereitschaft zur genauen Erfassung hängt aber auch von psychologischen Aspekten ab: Wenn die Leistungserfassung möglichst genau die Betriebsrealität abbilden soll, darf sie von den Mitarbeitern nicht in erster Linie als Kontrollinstrument wahrgenommen werden. Ansonsten neigen sie dazu, die Verhältnisse zu beschönigen.


Die Projekte sind die Produkte

Eine präzise Vollzeit-Leistungserfassung ist zwar zwingend notwendig, aber nicht ausreichend, um aussagekräftiges Zahlenmaterial über das Zustandekommen des Betriebsergebnisses zu erhalten. In einem Dienstleistungsbetrieb wird meist an Projekten oder Mandaten gearbeitet. Sie entsprechen somit den hergestellten Produkten in der Industrie. Um die Teilzusammenhänge des «Herstellungspreises» zu kennen, muss also die Leistungserfassung mit dem Projekt- respektive dem Mandatsmanagement verknüpft sein, damit auch die einzelnen «Herstellungsschritte» detailliert untersucht werden können.
Am einfachsten ist dies mit einem integrierten System möglich, das idealerweise – analog zu den etablierten ERP-Applikationen in der Industrie – auch alle anderen relevanten betriebswirtschaftlichen Funktionalitäten wie CRM, Ressourcenplanung, Fremdkosten, Verrechnung und Budgetierung enthält. Mit einem solchen System ist zudem automatisch die wichtigste Vorraussetzung für eine aussagekräftige BI sichergestellt, indem alle relevanten Daten zentral und damit konsistent gehalten werden. Im weiteren erlaubt die Integration aller Komponenten und Werkzeuge in einem System auch einfachere Analysen von nicht offensichtlichen Zusammenhängen zwischen den verschiedenen Teilbereichen.
Als willkommener Nebeneffekt vereinfacht die Verbindung von Projektmanagement und Leistungserfassung in einem System zudem die Usability für die Anwender und damit indirekt auch die Datenqualität für die BI. Die Mitarbeiter müssen nur noch ihre Leistungen den jeweiligen Projekten und Mandaten zuordnen, denn die Projekt-, Tarif- und sonstige Organisationsstruktur kann durch die Verantwortlichen vorgängig im Gesamtsystem abgebildet werden.






Die Arbeitsstunden im Zentrum


Viel Excel heisst mehr Aufwand

Interessanterweise verfügen heute erst die wenigsten Dienstleistungsbetriebe über eine solche integrierte ERP-Lösung, die ihren spezifischen Ansprüchen entspricht. Gemäss Schätzungen von Branchenexperten arbeitet erst ein Drittel mit einem entsprechenden betriebswirtschaftlichen Softwaresystem. Der überwiegende Teil der Dienstleister organisiert sein Geschäft immer noch mit isolierten Werkzeugen für einzelne Teilbereiche, die dann über Excel-Anwendungen verbunden sind. Ein solches Gesamtsystem Marke Eigenbau kann zwar, wenn es sorgfältig aufgebaut ist, genauso effizient wie eine integrierte Lösung sein. Dies bedingt aber eine straffe Organisation und entsprechendes IT-Know-how auch in den einzelnen Abteilungen. Ihre Schwächen offenbart eine aus Einzel-Tools aufgebaute Lösung in jedem Fall bei Anpassungen. Dann wird viel mehr aufwendige Handarbeit nötig.


Flexible Systeme für vielfältige Prozesse

Der Hauptgrund für die im Verhältnis zu anderen Branchen sehr geringe Durchdringung mit integrierten ERP-Systemen ist die sehr grosse Vielfalt der Dienstleistungsunternehmen. Häufig sind die individuellen Prozesse neben dem speziellen Know-how der wichtigste Erfolgsgarant. Herkömmliche Standard-ERP-Applikationen, die ursprünglich für die relativ uniforme, produzierende Industrie entwickelt wurden, können diese spezifischen Prozesse oft nur mit viel Anpassungsaufwand abbilden. Sie sind für die meisten Dienstleistungsbetriebe zu unflexibel. Die meisten installierten integrierten Applikationen sind darum heute noch Individualentwicklungen. Hochflexible Standardsysteme wie Vertecs Leistungssoftware sind erst wenige auf dem Markt.


Die Spezifika der Kostenrechnung

Die Besonderheiten der Dienstleistungsbranche zeigen sich auch bei der Kostenrechnung, dem vielleicht wichtigsten Subjekt von betriebswirtschaftlichen Datenanalysen zur Verbesserung der Rentabilität. Auch sie weist gegenüber dem klassischen oder industriellen Modell einige grundsätzliche Unterschiede auf. Zwar existieren auch bei Dienstleistern Kostenarten (Infrastrukturkosten, Löhne usw.), die einem Kostenträger entweder direkt oder indirekt zugeordnet werden können. Ein grosser Unterschied besteht jedoch darin, dass Dienstleister projektbezogen arbeiten, weshalb eine fixe Zuordnung eines Mitarbeiters zu einer Abteilung aus Sicht der Kostenrechnung wenig Sinn macht. Aufgrund der erschwerten Identifikation von Kostenstellen ist es besser, die Mitarbeiter als Vorkostenstellen zu betrachten. Dies um so mehr, als auch die meisten Kostenarten wie Löhne, Lohn­nebenkosten, Raumkosten oder sonstige Betriebskosten überwiegend mitarbeiterbezogen sind. Auch sie können darum mit Hilfe der Leistungserfassung automatisch auf die Kostenträger (Projekte) verteilt werden. Eine Um­lagerung nach einem festen Schlüssel ist nur noch für die Administration und interne Projekte notwendig.


Aufwand und Honorar sind zwei Dinge

Ein weiteres Charakteristikum von Dienstleistungsunternehmen, das für aussagekräftige Auswertungen und Analysen beachtet werden muss, sind die häufigen Unterschiede zwischen effektivem und verrechnetem Aufwand. Während die Leistungserfassung den tatsächlichen Aufwand strikt abbilden muss, ist es hilfreich, wenn auf der Honorarseite manipuliert werden kann, um beispielsweise den Abmachungen des Verkaufs gerecht zu werden. Als Folge davon stimmen meist sowohl der Zeitaufwand für einzelne Schritte wie auch die verrechneten Tarife nicht mit den tatsächlich erbrachten Leistungen überein. Aus diesem Grund müssen die beiden Blickwinkel unbedingt getrennt implementiert sein. Vor allem dürfen Spielereien auf der Honorarseite nicht die erfassten Leistungen manipulieren. Sonst verlieren diese praktisch ihre ganze Aussagekraft.
Möglichkeiten, mit den Zahlen zu spielen, sind aber nicht nur für die Erstellung der Rechnungen praktisch. Auch der Geschäftsführer und die Abteilungsleiter müssen mit ihren BI-Instrumenten möglichst frei verschiedene Kennzahlen kombinieren und aggregieren können. Wie bei der Erfassung der Leistungen durch die Mitarbeiter ist auch hier die Usability ausschlaggebend. Das heisst, das BI-Werkzeug muss so gestaltet sein, dass der Fachanwender ohne grossen Aufwand selber neue Auswertungen entwerfen kann. Muss er dafür jedes Mal eine IT-Fachperson beiziehen, wird er das analytische Potential des vorhandenen Zahlenmaterials zwangsläufig viel weniger ausnutzen.
Mit einem guten BI-Tool, das sich auf umfassende und verlässliche Kennzahlen stützt, kann ein Dienstleistungsunternehmen seine Profitabilität einfach in den Griff bekommen. Vom Vergleich der Projekt- oder Abteilungsrentabilitäten bis zu den Deckungsbeiträgen pro Mitarbeiter, Projektleiter, Partner, Dienstleistungskategorie oder Branche. Voraussetzung dafür ist eine zeitbasierte Projektmanagement-Software und die Abwendung von den klassischen Strukturen der herstellenden Industrie und des Handels.





Kostenrechnung: Industrie vs. Dienstleister


Der Autor

Claudio Pietra, dipl. phys., ist Geschäftsleiter der Zürcher Vertec AG. Sie erreichen ihn unter claudio.pietra@vertec.ch.




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