Editorial

Mit dem ungeputzten Auto im Puff


Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2009/09

     

Mein Auto ist auf Googles Street View zu sehen – frei und öffentlich zugänglich für all meine Freunde, Bekannten, Mitarbeiter und den Rest der Schweiz. Blöd nur, dass es alles andere als sauber geputzt ist, weshalb ich umgehend eine Beschwerde bei Google platziert habe, zusätzlich zum Nummernschild gleich den ganzen Wagen unkenntlich zu machen. Was sollen die Leute sonst denken? Passiert ist bis jetzt aber noch nichts. Vielleicht deshalb, weil Google angesichts der Flut von Beschwerden schlicht noch nicht dazugekommen ist, mein Auto unkenntlich zu machen.

Denn wenn man die Empörung über Street View in der Schweizer Presse verfolgt, muss die Aufregung in der Bevölkerung angesichts des neuen, unverschämten Google-Dienstes riesig sein. Und wohl nicht umsonst nimmt unser oberster Datenschützer, Hanspeter Thür (der ja die Bevölkerung vertritt), Worte wie «unzumutbar» in den Mund und fordert via Bundesgericht, dass Google Street View in der Schweiz unverzüglich vom Netz genommen wird.


Doch jetzt einmal ehrlich: Wen stört denn Street View wirklich? So schreibt beispielsweise eine Schweizer IT-Newsplattform, Street View sei «eine goldene Gelegenheit für alle, die gerne schnüffeln und Dinge wissen möchten, die andere ihnen verheimlichen wollen.» Und ein paar Beispiele werden auch gleich angeführt: «Was macht der Dienstwagen meines Mannes da in der Nähe des Bordells?» Oder: «Aha, Nachbar Meier hat wieder die Müllmarke nicht aufgeklebt!»

Nun, wenn eine Ehefrau sämtliche Bordelle der Schweiz via Street View abgrast, um zu schauen, ob der Wagen des Göttergatten davorsteht – dann sollte die Beziehung vielleicht einmal grundsätzlich überdacht werden. Und wer sich für die Müllmarken von Nachbar Meier interessiert... na ja!

Zugegeben, Street View nützt eigentlich niemandem wirklich (ausser vielleicht Google). Der Dienst ist eine grosse Spielerei und ein Killer von produktiven Arbeitsstunden. Doch schaden tut er auch niemandem. Durchforstet man die zahlreichen Kommentare auf den verschiedenen News-Seiten zu dem Dienst, ist das Gros der Feedbacks denn auch eher positiv – oder aber gleichgültig. Wer sich über Street View beschwere, habe ohnehin Dreck am Stecken, heisst es da. Oder: «Das Problem liegt wahrscheinlich darin, dass die Leute immer noch nicht gemerkt haben, wie viel von sich sie auf Facebook preisgeben.» Oder: «Geht der Datenschützer eigentlich mit einer Ski-Maske vor die Türe? Es könnte ihn ja jemand auf der Strasse erkennen! Und dann die vielen Überwachungskameras, Web-Cams, Handy mit Foto-Funktion...»

Und so dünkt es, dass Street View – wie so vieles bei Google in jüngster Zeit – gewissen Leuten eine herrliche Möglichkeit bietet, sich zu profilieren und aufzuregen. Und den Medien Schreibstoff liefert – in einer Zeit, in der es sonst nur über einen Spinner in Libyen etwas zu berichten zu geben scheint.

PS: Mein Auto steht übrigens auf der Strasse vor dem Büro. Und nicht wie Sie vielleicht denken...
(mw)


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