CIO-Interview: "Zentralisieren, dort wo es Sinn ergibt"

von Matthias Wintsch

4. Mai 2019 - Christoph Scholl stellt mit der Informatik von BDO die IT-Plattformen für knapp 23’000 höchst sicherheitssensible Kunden sowie 1300 Angestellte und 1500 Clients, die dezentral in der ganzen Schweiz verteilt sind – eine spezielle Aufgabe.

"Swiss IT Magazine": Sie haben sich bei BDO Schweiz vom Auszubildenden zum CIO hochgearbeitet, sprich nie direkt in einer anderen Firma gearbeitet – wie kamen Sie zu Ihrer Position?
Christoph Scholl: Für mich war schon früh klar, dass ich Informatiker werden will, also habe ich mit 16 Jahren eine Ausbildung zum Systemtechniker bei BDO absolviert. Ebenfalls klar war für mich damals, dass ich mit 30 Jahren selbständig sein werde. In der Kombination kam das dann aber doch etwas anders, wie man heute sieht. Nach meiner Lehre habe ich im Militär die Offizierschule absolviert, wo ich erste Führungserfahrung ausserhalb von BDO sammeln konnte. Bei BDO konnte ich mich in der IT gleichzeitig vom Support über die Kundenbetreuung hocharbeiten, bis ich in Solothurn mit 24 Jahren die Gelegenheit bekam, ein Kundenteam zu leiten. Eine sehr wertvolle Erfahrung. In dieser Zeit war ich auch regelmässig an IT-Prüfungen im Rahmen unserer Revisionsmandate beteiligt, wodurch ich viele Einblicke in externe Kundenumgebungen bekommen und gelernt habe, wie sich andere IT-Abteilungen organisieren.

Eine wichtige Erfahrung für einen angehenden CIO.
Genau, denn es hat dazu beigetragen, dass ich, obwohl ich BDO nie verlassen habe, schon früh in meiner Karriere vielseitige Erfahrungen ausserhalb des Unternehmens sammeln konnte. BDO schlug mir damals als nächsten Karriere­schritt die Rolle als zertifizierter IT-Prüfer vor. Ich wusste aber, dass aus mir kein Hardcore-IT-Prüfer wird, also habe ich 2012 eine IT-Governance-Ausbildung absolviert. Unser CEO gab mir etwa zeitgleich den Auftrag, eine Auslegeordnung der internen IT-Organisation mit Fokus auf eine Transformation vom Technologieprovider zum internen Dienstleister zu erstellen. Die Verfügbarkeit der IT-Systeme war nie das Problem, aber man war mit der internen Dienstleistungsorientierung nicht ganz glücklich. Also habe ich einige Vorschläge unterbreitet. Diese befand die Geschäftsleitung im März 2012 als gut und übergab mir auch gleich die Verantwortung für deren Umsetzung. Somit kam ich anfangs 2013 zu meiner heutigen Funktion als CIO von BDO Schweiz.

Welche Massnahme haben Sie zuerst ergriffen?
Bei meinem Antritt hatten drei der fünf Regionen von BDO eine eigene IT-Abteilung. Diese Abteilungen mussten zusammengeführt werden. Ich verfolgte einen pragmatischen Ansatz, da mir klar war, dass eine sofortige Konsolidierung nicht erfolgsversprechend gewesen wäre. Ein Jahr später, Anfang 2014, konnten wir die Abteilungen schliesslich integrieren. Seit da gibt es zur internen Dienstleistungserbringung nur noch eine IT-Abteilung bei BDO, die in der Direktion Schweiz angesiedelt ist.

Wie funktioniert die IT in dieser dezentralen Umgebung?
Historisch bedingt geniessen die fünf Unternehmens-Regionen eine sehr hohe Autonomie. Im Zuge der Konsolidierung hat man in vielen Management Services gezielt zentralisiert, um effizienter zu werden, Synergien zu nutzen und Umgebungen zu vereinheitlichen. Wir sprechen dabei aber lediglich über die Zentralisierung der Führung, wir haben immer noch Mitarbeitende an allen Hauptstandorten der fünf Regionen. Das gilt für den Support, aber auch die anderen Management Services wie HR oder Finanzen verteilen ihre Mitarbeitenden auf die Regionen.

Wie organisieren Sie sich dabei aus technischer Sicht?
Unsere IT ist klar vereinheitlicht. Wir durften im Zuge der Konsolidierung die dezentralen Entscheidungen punkto Technologie-Einsatz reduzieren, beziehungsweise ganz eliminieren. Somit reden wir von einem einheitlichen Technologie-­Stack über alle Regionen hinweg. Als ich vor 19 Jahren bei BDO gestartet habe, hat jede Region für sich entschieden, welches Notebook gekauft wird. Heute hat jeder BDO-Angestellte in der Schweiz das exakt gleiche Gerät, welches alle drei Jahre ersetzt wird.

Wie steht es dabei um die Abhängigkeiten Ihrer IT zum globalen Hauptsitz?
Grundsätzlich geniessen wir auf nationaler Ebene eine hohe Autonomie, denn die BDO-Mitgliedfirmen in den Ländern sind stets im Besitz der lokalen Partner. BDO Schweiz gehört zu 80 Prozent den lokalen Partnern, die in der Firma in leitenden Positionen arbeiten, und zu 20 Prozent der firmeneigenen Pen­sions­kasse. Damit gibt es zwar einen CEO Global, dessen Weisungs­befugnis ist aber eingeschränkt. Der Netzwerkvertrag mit dem globalen Hauptsitz gibt dabei gewisse Bedingungen vor, für uns beispielsweise ein Mindestmass an Informationssicherheitsstandards, die es zu erfüllen gilt. Eine direkte Befehlsgewalt existiert in diesem Sinn aber nicht und unsere IT ist ein Abbild davon. Man zentralisiert weiter dort, wo es Sinn ergibt, etwa beim Einkauf der Microsoft-­Lizenzen. Dies geschieht aber eher bei sanften Einstiegsthemen, in organisatorischen Bereichen wie beim Support wäre das nach heutigem Stand undenkbar.

Sie halten sämtliche Daten in Schweizer Datenzentren auf eigener Hardware. Was sind die Hintergründe dieser Entscheidung?
Wir haben unsere eigenentwickelte Wirtschaftsprüfungssoftware APT im Einsatz und sind einer der grössten Abacus-Anwender und Anbieter von Abacus-Hosting-Umgebungen. In diesem Zusammenhang sind Applikationen im Einsatz, bei denen wir zur Überzeugung gelangt sind, dass es keinen Anbieter auf dem Markt gibt, der die nötige Performance optimal liefern könnte. Ohne erhebliche Mehrkosten wäre es schwer gewesen, jemanden zu finden, der im Bereich einer hohen Standardisierung bereit gewesen wäre, auf unsere spezifischen Anforderungen einzugehen. Um die bestehende Infrastruktur möglichst auszulasten und die tendenziell höheren Kosten einer eigenen Umgebung zu tragen, werden nicht nur eigene Workloads, sondern auch Systeme und Services für unsere Kunden auf den Servern betrieben.

Wie wichtig ist der Datenstandort Schweiz dabei für BDO?
Der Standort ist sehr wichtig. Die Daten, die wir von unseren Kunden haben, sind typischerweise sehr sensibel. Das geht von den Lohnlisten der Kunden bis hin zu Geschäftsleitungs- und VR-Protokollen, die wir als Treuhänder oder Wirtschaftsprüfer erhalten. Daher sind die Kunden meist bereits sensibilisiert, wo ihre Daten liegen. Gerade bei unserer Wirtschaftsprüfungs-Software APT, wo es auch eine international gehostete Version gäbe, spüren wir eine sehr grosse Zurückhaltung auf Seite der Kunden, die Daten im Ausland zu lagern. Wir bieten daher nur noch ein Hosting in der Schweiz an, zum einen, damit die bestehende Umgebung in der Schweiz optimal genutzt wird aber auch, um die Komplexität für unsere Mitarbeiter zu reduzieren.

Wie ist die IT bei BDO aufgestellt?
Die IT-Abteilung bei BDO besteht aus knapp 50 Mitarbeitenden, von denen in der Regel mindestens vier Lernende sind. Für mich ist die Ausbildung von Lernenden ein sehr wichtiges Thema, welches mir persönlich am Herzen liegt, natürlich auch, weil ich selbst so gestartet habe. Wir haben ausserdem beschlossen, diesen Sommer zusätzlich eine Mediamatiker-Lehrstelle anzubieten. Damit sind etwa zehn Prozent der Mitarbeitenden unserer Abteilung Lernende, die restlichen Mitarbeitenden teilen sich in vier Hauptbereiche auf. Das ist erstens der grösste Bereich, Operations, der etwa die Hälfte der Mitarbeiter umfasst. Darunter befindet sich der Service Desk, der zentrale Operations-Teil, ein Team, welches sich um die interne Infrastruktur kümmert, und je ein Team für die Plattform und die Software. Ein etwas exotischer Teil unserer IT mit fünf Mitarbeitern ist die Kundeninformatik, die für externe Kunden arbeitet. Die zwei weiteren Teams sind für Informations- und IT-Sicherheit respektive Transformations und Solutions zuständig.

Unter Rücksichtnahme von hohen Sicherheitsstandards, einer eigenentwickelten Software, eigener Serverinfrastruktur und etwa 1500 Clients klingt das nicht nach viel Personal. Outsourcen Sie IT-Aufgaben?
Was wir in der Vergangenheit eigentlich nie gemacht haben, ist umfangreiches Software-Development. In der 2012 verabschiedeten IT-Strategie 2015 von BDO haben wir festgehalten, dass wir ein Technologie-Follower sein wollen. In der Strategie für 2020 hat sich das gewandelt. Darin sprechen wir bereits davon, dass wir überall dort, wo Kunden-­Interfaces existieren, vorne mit dabei sein wollen und neue Technologien zum Einsatz kommen sollen. Für die interne Infrastruktur ist allerdings noch Zurückhaltung vorgesehen. Wenn ich heute einen Blick auf die nächste IT-Strategie wage, gehe ich davon aus, dass wir auch intern verstärkt bei der Anwendung neuer Technologien weit vorne dabei sein wollen. Hier gehört letztlich ein gewisser Entwicklungsteil dazu, wenn man das Potential nutzen will. Also baut man entweder ein eigenes Entwicklungsteam auf, was nach meinen Schätzungen aber relativ viel Zeit in Anspruch nimmt, oder man macht sich von einem Lieferanten abhängig. Wir sind einen Mittelweg gegangen und haben uns kürzlich mit einer Be­teiligung am Software-Entwickler Younitec gewisse Entwicklungsres­sourcen ­gesichert.

Sie pflegen eine grosse Sharepoint-Instanz, derzeit läuft auch das Migrationsprojekt von Kundendaten auf dieser Plattform. Gibt es da spezielle Herausforderungen?
Wir haben 2007 begonnen, eine Kundenplattform aufzubauen. Diese bestand zum einen aus Abaweb, der Weblösung von Abacus, und zum zweiten aus der Sharepoint-Plattform für den Datenaustausch. Bei den Kunden fand das Anklang, der Einsatz war aber stark abhängig davon, ob unsere internen BDO-Berater dem Kunden die Lösung auch empfahlen. Die Zeit musste etwas reifen für den flächendeckenden Einsatz. Mit der Ablösung der Fileserver begannen wir, für jeden Kunden automatisch eine Kollaborationsseite auf Sharepoint zu erstellen, ungeachtet dessen, ob der Kunde darüber mit uns Daten austauschen will oder nicht. Somit dient die Plattform als Dateiablage für alle 23’000 Kunden bei BDO.

Also war die grösste Herausforderung an der Implementierung die interne Nacherziehung?
Ja, der CEO unseres Integrationspartners Mondaycoffee sagte von Anfang an, dass das Projekt zu 70 Prozent ein organisatorisches Projekt sei. Und obwohl ich ihn gehört, verstanden und ihm geglaubt hatte, habe ich es in der Konsequenz wahrscheinlich trotzdem noch unterschätzt. Wir haben die internen Ablagen nach und nach ersetzt und sind aktuell noch daran, Region für Region die Kundenablagen zu erneuern. So konnten die Mitarbeiter über mehrere Jahre auf der neuen Plattform Erfahrungen sammeln, bevor der Tag X kam und nur noch mit Sharepoint gearbeitet wurde. Den Kunden überlassen wir aber nach wie vor, wie sie interagieren wollen.

BDO entwickelt die eigene Wirtschaftsprüfungs-Software APT, in der neuesten Generation gemeinsam mit Microsoft auf Azure-Basis. Können Sie etwas zur Entwicklung von APT sagen?
Die Software ist seit je her eine Eigenentwicklung von BDO Global. Das Ziel dahinter ist, dass die BDO-Mitgliedfirmen mit eigener Infrastruktur grenzübergreifende Revisionsmandaten mit einer einheitlichen Methodologie abwickeln können. Hier war es nötig, die Software auf den neusten Stand zu bringen. Vor rund vier Jahren entschied man deshalb auf globaler Ebene, eine strategische Partnerschaft mit Microsoft einzugehen. Aus der Partnerschaft entstanden zwei Projekte: Erstens ein globales Portal, welches unserem in der Schweiz zwar ähnelt, für uns jedoch wieder die Herausforderung des Datenstandorts mit sich bringt. Und zweitens die dritte Version von APT auf Azure-Basis. Das Produkt wird auf globaler Ebene entwickelt, in der Schweiz sind wir hierbei nur Leistungsbezüger.

Können Sie sonst noch von der internationalen Aufstellung des Unternehmens profitieren?
Es gibt monatliche Telefonkonferenzen mit allen IT-Directors der Mitgliedfirmen, bei denen es im Wesentlichen darum geht, Informationen zu vermitteln. Etwa alle zwei Jahre gibt es zusätzlich eine globale Konferenz der IT-Directors, wobei es hier vor allem darum geht, wie man voneinander profitieren kann. Mit unserer Firmenstruktur organisieren wir uns etwas wie die föderalistische Schweiz: Man hat viele Gemeinden, die gute Ideen haben und diese entwickeln, muss aber aufpassen, dass man nicht an 20 Stellen das gleiche Produkt entwickelt. Ressourceneffizienz ist hier ein grosses Thema, der Informationsaustausch ist der Hauptfokus, wie auch das gemeinsame Vorantreiben globaler Projekte.

Welche Projekte beschäftigen die BDO-­Informatik derzeit?
Wir haben laufende Projekte in verschiedenen Bereichen. Ein grosser Schritt wird der Abschluss der angesprochenen Migration von Kundendaten sein, die nun gut fünf Jahre lief. Derzeit arbeiten noch drei der Standorte auf der alten Ablage, im September sollte das abgeschlossen sein. Weiter hat uns SAP S/4Hana über die letzten 18 Monate beschäftigt, letztes Jahr haben wir die Datenbankebene ersetzt und vor einer Woche die Migration auf der Applikationsebene abgeschlossen. Das war ein wichtiger Schritt auf unserem Weg, durch den Einsatz der neuesten Technologien das Potential von Automatisierung, Prozessvereinheitlichungen und Verschlankungen zu nutzen.

Was steht 2019 sonst noch auf dem Programm für Sie?
Das CRM-Projekt ist bei BDO Gesprächsthema, seit ich meine Stelle als CIO angetreten habe, andere Projekte hatten aber meist Priorität. Mit einem neuen Projektleiter, der viel Erfahrung mitbringt, haben wir Anfang Jahr die Genehmigung für die erste Phase des Projektes erhalten. Bis Ende Jahr soll eine konsolidierte Basis aller Kundeninformationen stehen, auf der wir 2020 und 2021 aufbauen können.


Christoph Scholl

Christoph Scholl hat seine Ausbildung als Systemtechniker bei BDO absolviert und ist dem Unternehmen seither treu geblieben. Nach unterschied­lichen internen Positionen in der BDO-Informatik, zuletzt in der Position des Teamleiters Kundeninformatik, konnte er 2013 das Amt des CIO übernehmen und 2016 als Partner bei BDO einsteigen. Neben seinem Beruf amtet der 35-Jährige in der Politik seiner Heimat­gemeinde Selzach, wo er sich seit über zehn Jahren als Gemeinderat und als Präsident der Genossenschaft Wohnen im Alter für seine Mitbürger einsetzt.


Zum Unternehmen

Das Wirtschaftsprüfungs-, Beratungs- und Treuhandunternehmen BDO Schweiz, beschäftigt rund 1500 Mitarbeiter an 34 Niederlassungen und betreut etwa 23’000 Kunden. Die Schweizer Member-Firma von BDO Global ist im Besitz der lokalen Partner sowie der firmeneigenen Pensionskasse.

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