CIO-Interview: «Ein Streitpunkt ist immer die Priorisierung»

von Marcel Wüthrich

1. Oktober 2016 - Marcel Rassinger entwickelt mit seinem Team den Online-Shop von Brack.ch weiter und musste zuletzt händeringend nach Entwicklern suchen. Dies ist aber nur eine von zahlreichen Herausforderungen für den Competec-IT-Leiter.

Swiss IT Magazine: Sie haben als IT-Leiter eines der grössten ICT-Händlers des Landes sicher exzellente Einkaufskonditionen. Arbeiten die Competec-Mitarbeiter demnach alle mit der neuesten Hardware?
Marcel Rassinger:
Es sind eher meine Kinder, die mit der neuesten Hardware arbeiten (lacht). Intern können wir natürlich nicht immer das Neueste einsetzen, aber wir arbeiten sicher mit sehr guter Hardware, was die Performance und Stabilität angeht. Gleichzeitig versuchen wir, Produkte mit einem guten Preis-/Leistungsverhältnis zu kaufen.

Ich kann mir vorstellen, dass innerhalb der Competec-Gruppe die IT-­Affinität überdurchschnittlich hoch ist. Macht das Ihren Job einfacher oder eher schwieriger?
Beides – es ist Segen und Fluch zugleich. Zum einen kann man Probleme, mit denen man sich herumschlägt, besser vermitteln, weil die Mitarbeiter mehr Verständnis haben. Zum anderen muss man halt teils auch mit durchaus kritischen Fragen und hohen Ansprüchen seitens der Mitarbeiter umgehen können.

Sind Sie bezüglich IT-Rechten der Mitarbeiter durch die vorhandene IT-
Kompetenz besonders offen oder allenfalls besonders restriktiv?

Wir versuchen, einen optimalen Kompromiss zu finden. Einerseits wollen wir die Mitarbeiter nicht zu stark einschränken. Anderseits müssen wir sicherstellen, dass wir die Infrastruktur auch administrieren können. Wir haben rund 700 Kleingeräte – PCs, Tablets und Smartphones – im Einsatz, und wenn wir zu liberal wären, dann könnten wir das kaum mehr managen. Gewisse Abteilungen aber, beispielsweise Marketing oder Einkauf, die auch Geräte ausprobieren müssen, sind darauf angewiesen, dass sie doch recht weit gefasste Rechte haben. Entsprechend gibt es unterschiedliche Policies für die verschiedenen Benutzergruppen.

Wie würden Sie die die wesentlichen Merkmale der Competec-IT in groben Zügen umschreiben?
Als CIO eines E-Commerce-Unternehmens, was die Competec-Gruppe zu einem wesentlichen Teil ist, beschäftigen uns insbesondere zwei Themen. Zum ersten das Infrastruktur-Thema, eine klassische CIO-Aufgabe, zum zweiten das Thema Software-Entwicklung. Wir sind in einem sehr dynamischen Umfeld tätig und deshalb darauf angewiesen, dass wir im Bereich Entwicklung eine möglichst hohe Agilität und im Bereich Infrastruktur eine möglichst hohe Stabilität erreichen. Das ist nicht immer ganz einfach miteinander zu vereinbaren. Agilität stellen wir sicher, indem wir unsere Projekte entsprechend managen und unter anderem versuchen, Entwicklung und Business möglichst nahe zusammenzubringen. Und Stabilität in der Infrastruktur erreichen wir unter anderem damit, indem wir für Ausfallsicherheit sorgen und Redundanzen einbauen. So betreiben wir zum Beispiel ein georedundantes Rechenzentrum in Mägenwil und in Willisau, und wir lagern auch immer mehr Dienste in die Cloud aus.

Competec ist aber mehr als nur ein E-Commerce-Anbieter, sondern auch Distributor und Logistiker. Sieht die IT-Strategie für den Rest des Unternehmens anders aus als für den E-Commerce-Teil?
Die Anforderungen des E-Commerce-Teils und der anderen Bereiche der Gruppe sind in Teilen schon unterschiedlich. Allerdings ist die Überschneidung der Anforderungen doch sehr gross. Wir versuchen deshalb, möglichst alle Unternehmensbereiche mit derselben Infrastruktur und denselben Softwarepaketen zu bedienen, um so auch von Synergie-­Effekten und der Economy of Scale profitieren zu können. Natürlich klappt das nicht überall und jeder Bereich hat seine Spezialitäten. Aber die versuchen wir so aufzufangen, dass sich der Aufwand in Grenzen hält.

Wo klappt es denn nicht?
Ein grosser Streitpunkt ist letztlich immer die Priorisierung. Technisch sind unsere Plattformen inzwischen so flexibel, dass wir im Prinzip alles für alle bauen können. Allerdings sind unsere Ressourcen in der IT nicht unendlich, die Zahl der Entwickler – die ohnehin schwierig zu bekommen sind – ist begrenzt. Wann wer welche Ressourcen bekommt, ist somit ein ständiges Tauziehen. Alle zufriedenzustellen, ist fast nicht möglich.

Was entwickeln Sie und Ihr Team denn alles selbst?
Unser Onlineshop ist eine komplette Eigenentwicklung. Das ist deshalb nötig, weil ein Standardprodukt unsere Anforderungen schlicht nicht erfüllen könnte. Schliesslich zählen wir rund sieben Millionen Anfragen pro Tag und führen rund 100’000 Produkte, das sind gewaltige Mengen. Im Bereich ERP bauen wir mit Microsoft Navision derweil auf eine Standardlösung. Allerdings gibt es bei uns unzählige spezielle Anforderungen, die wir mit Eigenentwicklungen abdecken. So ist das ERP eine Mischung aus Standardlösung und Eigenentwicklung.

Gibt es denn auf dem Markt keine Shop-Lösung, die Ihren Anforderungen gerecht wird? Eigenentwicklungen entsprechen ja nicht unbedingt dem Zeitgeist, in dem Standardisierung gepredigt wird.
Standardisierung ist wichtig, da gebe ich Ihnen recht. Davon ausgenommen sind aber Bereiche, bei denen man durch eine Eigenentwicklung einen Wettbewerbsvorteil erzielen kann. Im E-Commerce-­Bereich sind die meisten grossen Anbieter mit selbst gebauten Lösungen unterwegs. Diskutieren kann man allenfalls darüber, wie viel man selber entwickeln muss. In den letzten Jahren hat sich dank der Cloud einiges getan, und Bausteine wie ein Content Management System kann man heute ab der Stange nehmen und über Schnittstellen an die eigene Lösung anbinden. Wo immer so etwas möglich ist, versuchen wir das auch.

Sie haben Ihre Stelle Anfang 2015 angetreten. Welche Projekte haben Sie seit Ihrem Start umgesetzt?
In der ersten Woche, in der ich hier war, waren wir von einer DDoS-Atttacke im grossen Stil betroffen. Das war dann gleich der Anlass, sich diesem Problem anzunehmen, was ein umfangreiches Projekt wurde. Allerdings hat sich der Schritt gelohnt, denn bei der letzten grossen DDoS-­Attacke in der Schweiz kamen wir glimpflich davon. Der Angriff auf uns wurde rasch abgebrochen, als die Angreifer gemerkt haben, dass es bei uns nichts bringt. Eine andere grosse und stetige Baustelle ist der Shop, der ständig weiterentwickelt wird und mit dem wir noch einiges vorhaben. Dazu haben wir in jüngerer Vergangenheit unsere Webentwicklungsabteilung massiv aufgestockt und die Zahl der Mitarbeiter verdoppelt. Die Herausforderung hierbei war, diese Mitarbeiter überhaupt zu finden. Ein weiteres grösseres Projekt in den letzten anderthalb Jahren war die Einführung eines Product Information Management Systems, das uns nun hilft, die Datenqualität auf unseren Produkten zu verbessern und gleichzeitig effizienter zu werden. Denn eine hohe Datenqualität ist die Basis für zahlreiche Funktionen im Shop. Ebenfalls ein Projekt, das im letzten Jahr begonnen hat, ist eine selbstentwickelte Recommendation Engine, wo wir in kleinen Schritten in das Thema Big Data eingestiegen sind und uns nun langsam, aber sukzessive vorarbeiten.

Und welche Projekte stehen nebst der Weiterentwicklung des Shops für die absehbare Zukunft an?
In erster Linie wollen wir nun erstmal die Projekte, die ich angesprochen habe, weitertreiben und konsolidieren. Ins Auge gefasst haben wir für das kommende Jahr zudem einige Projekte, über die wir allerdings noch nicht sprechen können.

Mit wie vielen Mitarbeitern nehmen Sie all Ihre Aufgaben wahr und wie ist das IT-Team strukturiert?
Alles in allem sind wir rund 30 Mitarbeiter in der IT, dazu kommen aktuell vier Lehrlinge. Wie in vielen IT-Abteilungen üblich, sind wir entlang der Systeme strukturiert. Das bedeutet, dass wir ein ERP-Team, ein Web-Team, ein Systeme-­Team, dass sich um die Rechenzentren und Server kümmert, Netzwerkspezialisten sowie einen IT-Support haben. Um diese Teams herum beschäftigen wir Projektmanager, Product Owner und Spezialisten, die sich um die Datenanalyse kümmern und die direkt mir unterstellt sind.

Ist Outsourcing ein Thema?
Outsourcing machen wir bei speziellen Wissensbereichen. Bauen wir zum Beispiel Teile der Netzwerkinfrastruktur um, gehen wir zum Spezialisten. Für komplexe Probleme mit den Webservern holen wir ebenfalls externe Hilfe, und auch das Thema DDoS-Schutz haben wir ausgelagert, das kann man kaum selber stemmen.


Sie haben es angesprochen: Fachkräfte und insbesondere Entwickler zu finden, ist schwierig. Liegt das nur daran, dass Mägenwil nicht der Nabel der Welt ist?
Der Entwicklermarkt ist generell sehr trocken, und der Markt für PHP-Entwickler, die wir jüngst gesucht haben, ist noch etwas trockener. Wir haben im gesamten deutschsprachigen Raum gesucht, und wir wurden letztlich auch fündig, das aber mit sehr viel Aufwand. Wir haben sämtliche Kanäle genutzt, die es gibt – von Entwicklerforen über Headhunter und persönliche Kontakte bis hin zu Facebook und Co. Und ja, eine erste grosse Hürde war, die Entwickler überhaupt dazu zu bewegen, nach Mägenwil zu kommen und sich das Ganze einmal anzuschauen. Unser Standort ist sicher kein Vorteil. Doch wenn wir einem Kandidaten dann einmal zeigen durften, was wir alles machen und auf welchem Niveau wir entwickeln, dann ist das Interesse schon merklich gestiegen und wir konnten die Allermeisten auch davon überzeugen, für uns zu arbeiten. Technologisch spielen wir ganz vorne mit, und wir investieren sehr viel in die Aus- und Weiterbildung der Mitarbeiter, damit das so bleibt.

Was hat Sie persönlich denn gereizt, Ihren Job in Mägenwil anzunehmen?
Bei mir war es ähnlich wie bei den Spezialisten, die wir suchten: Auch ich musste zuerst überzeugt werden, mir das Ganze hier anzuschauen. Unter anderem wurde mir versprochen, dass ich den Inhaber kennenlernen dürfte, und tatsächlich war Roland Brack dann beim ersten Gespräch, das überdies sehr positiv war, mit dabei. Als ich dann gesehen habe, was hier alles gemacht und auf welchem Niveau gearbeitet wird, war ich enorm positiv überrascht und rasch überzeugt. Ich komme ja aus der Software-Entwicklung, und die Bedeutung von Software-Entwicklung ist bei meiner Aufgabe hier sehr gross.

Was bezeichnen Sie aktuell als grösste Herausforderung in Ihrem Job?
Eine schwierige Frage. Ich glaube, die grösste Herausforderung ist der Punkt, den ich bereits angesprochen habe und der nicht nur mich, sondern die ganze Führungscrew betrifft: Das richtige Setzen von Prioritäten. Wir bewegen uns in einem sehr aggressiven Wettbewerbsumfeld. Die Art und Weise, wie die Kunden einkaufen, verändert sich. Hinzu kommen neue Mitbewerber, die in den Markt drängen, und Margen, die zunehmend kleiner werden. Für uns bedeutet das, dass wir agil bleiben und mit neuen Ideen aufwarten müssen. Entsprechend gibt es viele Projekte, die anstehen. Dabei die Ressourcen auf die richtigen Projekte anzusetzen, ist eine grosse Herausforderung.

Ist der Druck auch dadurch gross, weil die IT der matchentscheidende Faktor für den Unternehmenserfolg ist?
Soweit würde ich nicht gehen. IT ist ein wichtiger Teil des Puzzles. Aber der Unternehmenserfolg hängt natürlich von der Leistung aller Abteilungen ab. Es ist aber sicher so, dass die IT nicht nur ein reiner Kostenblock, sondern auch ein Enabler ist. Von der IT wird auch zunehmend erwartet, selber Ideen einzubringen, die dazu beitragen, dass wir erfolgreich bleiben. Aber letztlich gewinnen und verlieren wir als Team.


Zum Unternehmen

Die Competec-Gruppe besteht aus den Etailern Brack.ch und Babymüller.ch sowie dem Handelsunternehmen Alltron, das ausschliesslich Wiederverkäufer bedient. Ebenfalls zur Unternehmensgruppe gehören der Logistikdienstleister Competec Logistik sowie Competec Service als Anbieter der zentralen Dienste wie IT, Finanzen oder Personal. Die gesamte Gruppe zählt über 500 Mitarbeiter und hat im letzten Jahr mit rund 370’000 Kunden 535 Millionen Franken Umsatz gemacht. Der Competec-­Hauptsitz ist in Mägenwil, daneben unterhält das Unternehmen ein grosses Logistikzentrum im luzernischen Willisau.

Marcel Rassinger (46) hat seinen Job als IT-Leiter der Competec-­Gruppe im Februar 2015 angetreten. Vor seinem Wechsel zur Competec-Gruppe war der Diplom-Ingenieur und studierte Physiker während 15 Jahren für das Unternehmen E2E-Technologies tätig, zuletzt als CTO. Rassinger, der aus dem Vorarlberg stammt, ist bei Competec als CIO Teil der erweiterten Geschäftsleitung.

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