CIO Interview: «Ich kann sehr gut zuhören»

von Marcel Wüthrich

8. November 2014 - Urs Püntener hat als IT-Leiter der Rhätischen Bahn (RhB) eine umfassende Mobile-Strategie eingeführt und diese von den ärgsten Kritikern testen lassen.

Swiss IT Magazine: Sie wurden Anfang September am Swiss CIO und IT-Manager Summit in Zürich als Top CIO 2014 ausgezeichnet. Was macht einen Top-CIO aus?
Urs Püntener:
Eine gute Frage (lacht). Ich glaube, allen vier Preisträgern ist gemeinsam, dass Sie versucht haben, Dinge anders zu machen, Herausforderungen unkonventionell anzugehen und zu lösen. Gleichzeitig soll der Preis ja auch eine Auszeichnung nicht nur für den Umgang mit Technologie sein, sondern auch für den strategischen Einsatz von IT für den Unternehmenserfolg und für den Führungsstil und die Art und Weise, wie man die Mitarbeiter mit einbezieht. Ich sehe den Award nicht primär als Preis für mich, sondern vor allem auch als Auszeichnung für mein Team.

Ausschlaggebend für den Preis war ja unter anderem die Mobilitätsstrategie, die Sie bei der RhB umgesetzt haben. Können Sie diese Strategie ausführen?
Als ich meinen Job bei der RhB im Jahr 2011 begonnen habe, beschränkte sich die IT draussen im Feld, wo unser Business nun mal stattfindet, auf ein Minimum. Mobilität war aber ganz klar ein Bedürfnis, wie ich in zahlreichen Gesprächen mit Mitarbeitern in und um die Züge rasch festgestellt habe. Also haben wir uns umgeschaut, welche Lösungen es auf dem Markt gibt. Die SBB hatte damals das System LEA 2 (Lokführer Electronic Assistant) im Einsatz, mit dem der Lokführer auf einem Mobilgerät Informationen wie Fahrpläne und Streckeninfos angezeigt bekommt. Diese Lösung bei uns einzuführen, hätte pro Lokomotive rund 100’000 Franken gekostet. Bei unseren rund 50 Loks sprechen wir also von einem Investitionsvolumen von 5 Millionen Franken – viel Geld für uns. Das hat uns dazu bewogen, eine Alternative zu suchen. Wir haben mit den Lokführern geredet, sie gefragt, was sie den eigentlich benötigen. Dabei hat sich herausgestellt, dass sie vor allem eine Alternative zum Papier, dass sie ständig mit sich herumschleppen müssen, suchen. So sind wir auf iPads gekommen. Anstatt jede Lok für viel Geld aufzurüsten, haben wir einfach jeden Lokführer mit einem iPad ausgestattet. Auf diesen iPads haben wir eine Lösung namens Sugarsync aufgespielt, über die wir mit ganz einfachen Mechanismen – ähnlich wie Dropbox – den Lokführern Dienstdokumente zur Verfügung stellen können.

Wie war die Resonanz?
Zu Beginn – wie meist bei solchen Einführungen – war eine gewisse Skepsis zu spüren. Diese Skepsis ist aber rasch verfolgen, nicht zuletzt deshalb, weil wir den Mitarbeitern von Beginn weg erlaubten, die Geräte auch privat zu nutzen. Das hat enorm für Akzeptanz gesorgt. Und mit der Einführung der iPads haben wir einen Quantensprung in der Mobilität erreicht, vor allem auch deshalb, weil die Mitarbeiter die Geräte in Eigeninitiative kreativ genutzt haben. Sie haben begonnen selbst nach Wegen zu suchen, um ihre Arbeit effizienter zu gestalten. Das war der erste Schritt. In einem zweiten Schritt wollten wir das Kader dazu bringen, hinter dem Mobilitäts-Konzept zu stehen. Also haben wir an alle Kadermitglieder iPads verteilt, 250 Stück. Und wir haben es dem Kader freigestellt, was sie mit den iPads machen. Sie konnten die Tablets nutzen, wie sie wünschten, mussten aber nicht. Und so ist es rasch passiert, dass Einzelne nicht mehr mit einem Stapel Papier an Sitzungen aufgetaucht sind, sondern mit dem iPad. Und heute findet man kaum noch Papier an Sitzungen. Daneben gibt es noch viele Beispiele, wie die Tablets heute genutzt werden. Und die Akzeptanz ist zweifelsohne da. Aber wenn jemand das iPad nicht nutzt, dann ist das auch in Ordnung. Dann hat diese Person für sich einen besseren Weg gefunden, wie sie arbeiten will.

Eine Zwischenfrage: Warum iPads?
Zu dem Zeitpunkt, als wir mit unserer Mobilitätsstrategie gestartet sind, war das iPad eigentlich die einzige Möglichkeit. Android-Geräte waren noch nicht soweit. Inzwischen verteilen wir aber keine iPads mehr, sondern Android-Geräte. Wir haben als durchschnittliche Lebensdauer für die Geräte zwei Jahre definiert, und wir prüfen jeweils die sinnvollste Option. Ich bin kein Hardware-Gläubiger, das wichtigste für mich ist Hardware-Neutralität.

Wie sieht Ihr Mobilgerätepark heute aus?
Wir haben heute rund 600 Tablets sowie rund 800 Smartphones im Einsatz. Dagegen stehen bei uns nur noch rund 400 Thin Clients. Sie sehen, die Mobilität überwiegt ganz klar. Und die Kosten, welche die Anschaffung und der Betrieb der Geräte verursachen, liegen weit unter dem, was wir für die Lösung der SBB bezahlt hätten. Und das, ohne bei der Funktionalität Kompromisse eingehen zu müssen.

Gab es zu Beginn der Einführung Widerstände – sei es seitens der Mitarbeiter oder auch aus dem IT-Team?
Ein Transformationsprozess ist für jede IT-Abteilung eine Herausforderung. Bei einer Transformation sind immer auch Menschen involviert – Menschen die andere Aufgaben erhalten, andere Fertigkeiten erlernen müssen. Dass es dabei auch Widerstände gibt, ist nur natürlich. Wir haben allerdings versucht, diese Widerstände ins Positive zu kehren. Letztlich gibt es für negative Aussagen ja immer auch einen Grund. Ich versuche immer, diese ernst zu nehmen.

Auch wenn der Grund für den Widerstand nur Veränderungsresistenz ist?
Auch dann. Weil für mich als Manager bedeutet das ja nichts anderes, als dass es mir noch nicht gelungen ist, diesen Mitarbeiter ideal einzusetzen. Meine Meinung ist: Die Schwarmintelligenz der Mitarbeiter – der Brain Pool sozusagen – ist das wichtigste Gut eines Unternehmens. Wer den Mitarbeitern gut zuhört, kann selbst sehr viel lernen. Sie sprechen von Widerständen, ich von Gedankengängen. Diese Gedankengänge können helfen, eine Sache noch besser zu machen.

Diesen Brain Pool der Mitarbeiter zu nutzen: Haben Sie das in irgendeiner Form institutionalisiert?
Jein. Ich als Mensch kann sehr gut zuhören. Ob man dabei jetzt von Institutionalisierung sprechen kann, sei dahingestellt. Aber bei meinem Team mit 18 Leuten brauche ich kein Forum, um Feedback zu erhalten. Ich muss nur die Ohren aufmachen. Kritik ist bei mir nicht nur erlaubt, sondern erwünscht. Bis meine Mitarbeiter sich getraut haben, zu kritisieren, hat es natürlich etwas gedauert. Inzwischen pflegen wir aber eine sehr positive Streitkultur, in der diese angesprochene Schwarmintelligenz voll zum Tragen kommt und uns nützt. Ich bringe gerne folgenden Spruch, der in meinen Augen treffend für meine Philosophie ist: Ich bin wahrscheinlich der Dümmste der ganzen Abteilung, aber schlau genug, den Intelligenten zuzuhören.

Woher diese Philosophie?
Die hat sich über die Jahre so ergeben. Ich habe schon früh in meiner Karriere gelernt, dass man in der IT als Einzelner ein Niemand ist. Je besser es einem gelingt, im Team zu arbeiten und die vermeintlichen «Wiederständler» für sich zu gewinnen, desto mehr kann man machen. Das Mobilitätsprojekt hier bei der RhB ist das beste Beispiel dafür, denn es handelt sich dabei nicht um mein Projekt, sondern um ein Projekt des gesamten Teams, bei dem meine Mitarbeiter entscheidende Rollen übernommen haben.

Nutzen Sie denn Schwarmintelligenz auch, um die Bedürfnisse der Endanwender zu eruieren?
Ja. Genauso wie ich meinen Mitarbeitern in der IT zuhöre, tue ich dies auch draussen in den Zügen. Und ich versuche, mir auch die Kritik, die von aussen kommt, zunutze zu machen. Bestes Beispiel dafür sind unsere sogenannten Quality Scouts. Bei den Quality Scouts handelte es sich um erklärte Gegner des Mobilitäts-Projekts, also um die Mitarbeiter, die am lautesten moniert haben, dass unsere Idee nie funktionieren wird. Diese Mitarbeiter haben wir als erste ans System gelassen mit der Bitte, uns wissen zu lassen, was nicht gut ist. Und sie haben mit Inbrunst Fehler gesucht. Innerhalb von zwei Wochen wurden so über 1000 Dinge gemeldet, die nicht funktioniert haben. So hatten wir am Schluss ein System, das aus Benutzersicht optimiert wurde und später kaum mehr nachgebessert werden musste. Und wir hatten skeptische Mitarbeiter, die sich ernst genommen fühlten und so mit an Bord waren.

Sie haben Ihr Team bestehend aus 18 Mitarbeitern angesprochen. Wie ist dieses Team zusammengesetzt?
Mein Team besteht aus fünf System Engineers, die unter anderem unsere insgesamt drei Rechenzentren betreiben. Dann haben wir einen Leiter Applikationsmanagement sowie insgesamt drei Projektleiter. Und der Rest des Teams ist in der Supportabteilung tätig – aufgeteilt in einen First- und einen Second-Level-Support sowie eine Betriebseinheit. Angesichts der Grösse der RhB ist unser IT-Team ziemlich klein, auch deshalb, weil wir vieles ausgelagert haben. Wir setzen dabei auf ein selektives Outsourcing, versuchen also, pro Aufgabe den bestmöglichen Lieferanten zu finden.

Im Bündnerland sind Sie in einer Randregion zuhause. Macht es das schwieriger, Fachkräfte zu finden?
Dazu gibt es zwei Punkte anzuführen: Zum einen hat Graubünden eine hervorragende Infrastruktur, was die Ausbildungsstätten betrifft. Zum anderen gibt es viele Bündner, die zwar jahrelang im Unterland arbeiten, irgendwann aber wieder zurück «nach Hause» kommen. So habe ich in Graubünden eigentlich einen stetigen Zufluss an hochqualifizierten Arbeitskräften. Im Durchschnitt benötige ich ein bis zwei Monate, um eine Stelle zu besetzen, und zwar mit hochqualifizierten Mitarbeitern. Dabei muss ich anfügen, dass ich durchaus auch die Erfahrung von älteren Mitarbeitern schätze.

Wir haben über die Einführung der Mobilitäts-Strategie gesprochen. Wie ist es danach weitergegangen?
Das Projekt hat sich danach eigentlich aufgrund der Bedürfnisse der Anwender weiterentwickelt. Die iPads sind auf hohe Akzeptanz gestossen, und die mobilen Mitarbeiter wollten dann mit den Geräten das tun können, was auch ihre Kollegen im Büro machen. Aus diesem Anspruch heraus haben wir dann Citrix eingeführt. Heute können unsere Mitarbeiter unabhängig ihres Endgeräts über Citrix Xenapp auf virtuelle Windows-Desktops und -Applikationen zugreifen – egal wo sie sich befinden.

Warum Citrix?
Zum Zeitpunkt der Evaluation gab es im Prinzip zur zwei ernsthafte Kandidaten: Citrix sowie Microsoft mit der eigenen Virtualisierungstechnologie – damals im Zusammenspiel mit dem ersten Surface-Tablet. Das Risiko mit Microsoft wäre dabei deutlich höher gewesen, da es schlicht noch keinerlei Erfahrungswerte gab. Zudem spielten auch Kostenüberlegungen eine Rolle.

Und mit diesem Entscheid sind Sie auch heute noch zufrieden?
Ja. Heute macht für mich die Betreuung der Client-Hardware den grossen Unterschied. Egal ob iPad oder Android-Tablet – eine Betreuung der Geräte ist nicht nötig. Im Windows-Umfeld wäre das anders. Hier ist eine gewisse Betreuung der Geräte ein Muss, etwa was den Punkt Softwareverteilung angeht. Das mag keine grosse Sache sein, wenn man an einem Hauptsitz ist. Viele der RhB-Mitarbeiter aber sehen Chur vielleicht einmal pro Jahr, und ein Support-Mitarbeiter ist sechs Stunden unterwegs, bis er am Bahnhof Tirano ist – pro Weg wohlgemerkt. Früher musste man das machen, wir hatten Fat Clients, auch in den Büros an den Bahnhöfen. Heute verschicken wir die Thin ­Clients einfach mit der Dienstpost, und die Mitarbeiter schliessen sie selbst an.

Nochmals zur Mobilität: Die Mitarbeiter in den Zügen müssen ja ständig mobil sein und somit ständig über ein mobiles Netz verfügen, richtig?
Halb richtig. Unser ganzes Streckennetz ist mit Betriebsfunk erschlossen, und Funk gilt nach wie vor als wichtigstes Kommunikationsmittel der RhB. Das Mobilfunknetz ist bestenfalls ein Backup. Wir befinden uns im Gebirge, und niemand kann von Swisscom, Sunrise und Orange verlangen, flächendeckend ein Netz zu bieten.

Und Ihre mobile IT ist nicht darauf angewiesen, ständig online zu sein?
Nein. Alle wichtigen Dokumente sind auch offline verfügbar und werden einmal täglich synchronisiert.

Gibt es überhaupt die Möglichkeit, in den Zügen flächendeckend ein mobiles Datennetz anzubieten – angesichts des gebirgigen Streckennetzes durch Täler, Tunnels und über Brücken?
Technologische Möglichkeiten gibt es. Diese sind allerdings dermassen teuer, dass das im Moment aus Sicht der RhB nicht zur Diskussion steht.

Können Sie mir etwas zu aktuellen oder anstehenden Projekten erzählen?
Zurzeit sind bei uns 29 Projekte am Laufen. Ein wichtiges Projekt betrifft das strategische Komponentenmanagement beim Rollmaterial. Dabei geht es um die Instandstellung beziehungsweise die Erneuerung des bestehenden Rollmaterials. In einem Zugswagon wurden bislang nicht einfach einzelne Teile ausgewechselt, sondern zu einem Zeitpunkt X fand vereinfacht ausgedrückt ein grosser Service statt, in dessen Rahmen gewisse Komponenten standardmässig ausgewechselt wurden. Moderne Zugskompositionen funktionieren allerdings anders. Hier sind einzelne Komponenten eines Wagons in der Lage, Daten und Diagnosen zu den Betriebsstunden und zu ihrem Zustand auszugeben. Diese Daten kann man in ein zentrales ERP einspeisen, und von dort aus den Unterhalt der Wagons effizient managen. Ein weiteres wichtiges Projekt betrifft die Verrechenbarkeit der IT-Leistungen. Ich bin ein Gegner des Profitcenter-Gedankens, wir sind eine Bahn, und die IT muss kein Geld verdienen. Aber ich bin ein Befürworter von Transparenz. Das heisst, der Kunde beziehungsweise die Abteilung soll IT-Leistung zu dem Preis und in dem Umfang beziehen können, wie sie benötigt wird. Aktuell versuche ich also, die Dienstleitungen so zu bündeln, dass sie der Realität entsprechen.

Gibt es Trends in der IT, die Sie momentan mit besonderem Interesse verfolgen?
Das mit den Trends ist so eine Sache. Viele sogenannte Trends sind in meinen Augen natürliche Weiterentwicklungen, die jetzt einfach marketingmässig aufgearbeitet werden. Big Data ist so ein Beispiel. Den Trend, immer mehr Informationen miteinander zu vernetzen, gibt es schon lange. Mit einem Schmunzeln zur Kenntnis nehme ich auch das Hype-Thema «Internet der Dinge». Für mich ist das Internet der Dinge schon lange da – so blöd das tönt. Ich habe vorher die Komponenten unserer Wagons angesprochen, die Daten zu ihrem Zustand ausgeben. Das Internet der Dinge. Dasselbe gilt für Billettautomaten und vor allem auch für viele Gegenstände des täglichen Gebrauchs, angefangen beim Smartphone über den Router oder den programmierbaren Lichtschalter. Und wenn die Warnwesten unserer Lokführer in Zukunft ein Pulsmessgerät integriert haben müssen, dann ist das für mich eine logische Weiterentwicklung von Technologie – egal welchen Begriff man dafür erfindet. Ich glaube der wahre Trend in der IT ist der, dass sie immer mehr Common Sense wird. Das heisst, dass ich im Normalfall davon ausgehen kann, dass der durchschnittliche Mitarbeiter zu Hause mindestens gleich viel IT besitzt wie im Büro, wenn nicht mehr. Entscheidend ist, wie man sich das zunutze macht. Facebook zum Beispiel sensibilisiert uns zum Thema Datenschutz. Und plötzlich haben die Mitarbeiter Verständnis, wenn man alle paar Monate sein Passwort ändern muss und dieses nicht 1234 lauten sollte.


Urs Püntener

Urs Püntener ist seit 2011 Leiter Informatik bei der Rhätischen Bahn (RhB). Der 50-Jährige studierte Informatik an der ETH und wurde noch während des Studiums von EDV Studio Plönzke (heute CSC) abgeworben. Es folgten Engagements bei IBM, in der Unternehmensberatung und bei Imholz Reisen. Er war Leiter IT bei Hapimag, machte sich später selbstständig, war für kurze Zeit Weinbauer in Rumänien und arbeitete vor seinem RhB-Engagement rund sechs Jahre für Selecta Management. Die RhB betreibt im Bündnerland ein Streckennetz von 384 Bahnkilometern, zählt rund 1400 Mitarbeiter und machte 2013 gut 350 Millionen Franken Umsatz.

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