Interview: "Digitalisierung und Automatisierung sind keine Schreckgespenster"

Interview: Fridel Rickenbacher

Staatsnahe Betriebe sind im Zeitalter von Digitalisierung und Industrie 4.0 mit ganz spezifischen Interessensansprüchen konfrontiert. Susanne Ruoff, Konzernleiterin der Schweizerischen Post, sagt im Interview, wie sie die Herausforderungen in den neuen internationalen, digitalen Märkten meistern will.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2017/12

     

Geht bei der Schweizerischen Post in der Digitalisierung ebenfalls "die Post ab"?
Susanne Ruoff: Ja, salopp ausgedrückt könnte man dem wohl so sagen – die Digitalisierung schreitet auch bei der Post im Expresstempo voran. Unser Unternehmen selbst wird immer digitaler und unsere Kundinnen und Kunden auch: Die Post tragen sie heute praktisch in der Hosentasche via App mit. Sie finden unsere Dienstleistungen online, wir sind aber auch mit unseren Poststellen physisch nach wie vor stark präsent. Unser Credo ist: Sowohl, als auch – wir können beides. Die Post reagiert also einerseits auf den gesellschaftlichen und technologischen Wandel. Andererseits beschäftigen wir uns auch aktiv mit neuen Entwicklungen: Mit der autonom fliegenden Drohne etwa für Spezialtransporte, mit Zulieferrobotern oder dem fahrerlosen Postauto.


Die Digitalisierung ist geprägt von disruptiven Chancen und gleichzeitig komplexen Herausforderungen. Wie gelingt der Schweizerischen Post dieser Hochseilakt in der komplexen Balance zwischen Digitalisierung, Transformation, Innovation, Effizienzsteigerung und auch als Unternehmen mit Verantwortung als wichtiger Arbeitgeber und grundversorgungsbeauftragter Lieferant von Postdienstleistungen und Zahlungsverkehr?
Grundsätzlich tut die Post das, was sie schon immer getan hat: Wir transportieren Güter, Daten, Menschen von A nach B. Was sich aber ändert, sind die Transportmittel, also die Technologien. Statt Postkutschen fahren wir heute mit modernen elektrisch betriebenen Fahrzeugen. Wir wollen diesem Spannungsfeld erfolgreich begegnen: Wir setzen auf hohe Effizienz, verteidigen damit unser bestehendes Kerngeschäft und entwickeln gleichzeitig neue Produkte und Dienstleistungen entlang den veränderten Bedürfnissen unserer Kunden. Es ist wichtig zu verstehen, dass die Post nicht stillstehen darf: Die Post muss sich weiterentwickeln, damit es auch morgen in der Schweiz eine Post gibt, die zu den besten der Welt gehört und die nicht am Subventionstropf hängt. Wir verlieren jährlich zwischen 2 und 4 Prozent des Volumens von adressierten Briefen an digitale, postunabhängige Kanäle, und die Margen bei den Paketen bewegen sich in einem harten, internationalen Konkurrenzkampf. Gleichzeitig brechen die Umsätze in den traditionellen Poststellen regelrecht ein. Von der prekären Tiefzinssituation im Finanzmarkt mit PostFinance gar nicht zu sprechen. Wenn wir auf diese Entwicklungen nicht antworten, bekommen wir grosse Schwierigkeiten.
Serie Digitalisierung
In den letzten Jahren wurden einige wichtige Gesetzesvernehmlassungen, Bundesvorstösse und Standortbestimmungen für neue oder überarbeitete Gesetze wie das EPDG, DSG oder die E-ID in Angriff genommen. Diese stellen grundlegende Weichen für die Digitalisierung des Wirtschaftsstandortes Schweiz und von Fachbereichen wie dem Datenschutz, dem Schweizer Gesundheitswesen (E-Health) und der elektronischen Identität. Das swissICT Magazin beleuchtet diese Entwicklungen in einer Serie aus unterschiedlichen Blickwinkeln.
Die Digitalisierung minimiert zwar auch Jobs von Menschen beziehungsweise "gestaltet" diese um, jedoch bleibt die Arbeit. Wann und in welcher digitalisierten Kombination mit Menschen werden Roboter oder Drohnen uns die Post bringen oder bereitstellen?
Bei täglich rund 500 000 Paketen und zwischen 10 und 20 Millionen Briefsendungen werden Drohnen und autonome Zulieferroboter für Spezialtransporte den Pöstler ganz bestimmt nicht ersetzen. Der Himmel wäre schwarz und die Trottoirs übersät mit autonomen Fahr- oder Fluggeräten. Das ist nicht unser Ziel. Wir wollen die neuen Technologien dort einsetzen, wo es Sinn macht und akzeptiert wird. Je technischer unsere Welt wird, desto mehr haben wir Menschen das Bedürfnis nach persönlichen Kontakten und Begegnungen. Das wird auch in Zukunft so bleiben. Digitalisierung und Automatisierung sind keine Schreckgespenster der Zukunft, sie gehören bei der Post seit vielen Jahren zum Alltag. Ohne moderne Technik wäre es schlicht nicht mehr möglich, die Millionen von Paketen und Briefen zu einem bezahlbaren Preis und in der geforderten Zeit zuzustellen. Roboter werden in unseren Verarbeitungszentren bereits seit längerem eingesetzt. Nebst den Sortieranlagen, die im weitesten Sinn auch Roboter sind, kommen neuerdings auch Entladeroboter in Paketzentren zum Einsatz, die die Pakete aus den Rollcontainern auf die Förderbänder bringen. Das ist eine willkommene Entlastung für das Personal, das sonst jeden Tag Tonnen von Paketen und Briefen aufhebt und zu den Empfängern trägt.
Kommende, für die weitere Digitalisierung prägende Regulationen in Bereichen wie dem Datenschutz (CH-DSG, EU-DSGVO / GDPR) haben speziell auch Auswirkungen für die Schweizerische Post als grossen Datenverarbeiter?
Der Datenschutz ist für uns als vertrauenswürdige Mittlerin von Informationen, Geld und Gütern höchstes Gebot – heute und auch in Zukunft. Wir beziehen mit ein, was diesbezüglich auf europäischer Ebene gefordert ist. Die Post hat hier eine klare Strategie, die einerseits den Schutz der Daten, andererseits aber auch deren Verwendung regelt. Hier haben die staatsnahen schweizerischen Unternehmen einen potenziellen Vorteil gegenüber der internationalen Konkurrenz, die beim Datenschutz andere Massstäbe anwendet.


In der dynamischen Bedrohungslage bei Cyber Security ist speziell der elektronische Informationsaustausch beispielsweise per E-Mail ein Fokusthema. Wie kann man sich das vereinfacht im "analogen" Brief- und Paketverkehr der Post vorstellen? Was tun Sie bezüglich Präventionen bei Informationssicherheit, Fälschung, Identitätsmissbrauch, Phishing, gefährlichem Inhalt, Spam und Massenmails und Verschlüsselung?
Die "analoge Welt" ist mitnichten besser gefeit gegen Missbrauch, aufgrund der vergleichsweise hohen Kosten ist es jedoch schwieriger, Missbrauch im grossen Stil zu betreiben. Als Betrüger kann ich innerhalb von Minuten Millionen von E-Mails verschicken, ohne dass für mich wesentliche Kosten entstehen. Die Post bietet deshalb auch in der digitalen Welt seit geraumer Zeit sichere Lösungen an: beispielsweise den verschlüsselten E-Mail-Dienst IncaMail oder die elektronische Identität SwissID, die wir in Zusammenarbeit mit den SBB entwickeln. Damit legen wir das Fundament für sichere, eindeutige Identifikation von Bürgern im digitalen Raum – und damit die Voraussetzung für eine sichere Abwicklung von elektronischen Prozessen mit Behörden und der Wirtschaft. Beispielsweise im Bereich E-Government.
Wie weit ist und geht die Schweizerische Post in Zukunftstechnologien wie Data Science, künstliche Intelligenz (KI / AI), IoT, autonome Systeme (Drohnen, Robotik), 3D-Druck und Apps / Bots (elektronischer Postschalter), welche auch die Logistik-Industrie nachhaltig ändern werden?
Wir wollen am Puls dieser neuen Entwicklungen sein. Deshalb verfolgt die Post aktiv die neusten Entwicklungen der Forschung und Technologie. Wir betreiben dazu sowohl ein Start-up-Monitoring bis ins Silicon Valley als auch eigene Initiativen, in denen wir uns mit solchen potenziell disruptiven Technologien auseinandersetzen. Das Ziel ist hier immer, das Potenzial zu erkennen und daraus ableiten zu können, welche Auswirkungen und Möglichkeiten sich daraus für unser Kerngeschäft ergeben. Wir wollen mit klarem Fokus Geschäftsmodelle mit einem Mehrwert für unsere Kunden identifizieren, ihre Akzeptanz am Markt testen und sie bei Erfolg einführen.


Die Herausforderungen der Schweizerischen Post gehen schon länger über den reinen Wettbewerb hinaus in die Richtung von neuen Technologien. Sind "neue Geschäftsmodelle" überhaupt noch möglich ohne neueste Technologien, Digitalisierung und Fokussierung auf auch flexible, mobile und zeitunabhängige Dienstleistungen?
Gänzlich neue Geschäftsmodelle sind heute fast immer an eine neue Technologie gebunden – auch bei der Post. Es gibt aber immer noch grosses Potenzial, Dienstleistungen intelligenter miteinander zu verknüpfen und den Kunden das Leben so zu vereinfachen. Das ist ein Feld, in welches wir viel Zeit investieren. Nicht immer sind Prozesse, die aus einer Innensicht heraus sinnvoll erscheinen, extern dann auch nachvollziehbar. Durch konsequenteres Kundenerfahrungsmanagement (Customer Experience Management) sind wir dabei, solche Widersprüche aufzudecken und unser Angebot entsprechend anzupassen. Dazu braucht es keine neuen Technologien, sondern eine neue Denkhaltung.
Welchen Branchen in der Schweiz sagen Sie die grössten Risiken oder Chancen voraus in der "Industrie 4.0"? Bei welchen Branchen sind aus Ihrer Sicht spezielle Impulse, Agilität oder Massnahmen notwendig, wie es auch bei der Post gefordert wird?
Ich masse mir nicht an, Prognosen für andere Wirtschaftssektoren zu machen. Generell kann man sicher sagen, dass die Digitalisierung und die Automatisierung besonders dort einen grossen Impact haben werden, wo heute Menschen repetitive Arbeiten verrichten. Eine Stärke von uns Menschen ist seit jeher, flexibel und empathisch auf neue Situationen reagieren zu können. Das immer Gleiche in gleicher Qualität zu tun, können Maschinen hingegen oft besser als wir.


Wie sehen Sie die Chancen von staatsnahen Betrieben, sich als wichtige Player zu transformieren für E-Commerce, E-Banking, E-Voting, E-Government, E-Health, elektronische Identität, E-Payment / Wallet-Systeme und in weiterer Zukuft in "Logistik für Smart City"? Der E-Commerce-Boom scheint auf alle Fälle mittels Ihres Engagements beim irländischen eShopWorld erste "Digitalisierungs-Früchte" zu tragen.
Ich bin überzeugt, dass staatsnahe und neutrale Unternehmen wie die Post eine zentrale Rolle im Thema E-Government als Mittler zwischen den Bürgern und dem Staat spielen können. Gerade im E-Voting oder bei der E-Health übernimmt die Post bereits seit mehreren Jahren die traditionelle Rolle des Transporteurs von sensiblen Informationen in der digitalen Welt. Und wir tun dies mit Erfolg. Mit Twint ist bei unserer Tochter PostFinance auch eine zukunftsfähige Paymentlösung entstanden, die inzwischen von vielen Banken übernommen wurde. Mit "Smart City" stecken wir noch in den Kinderschuhen, aber ich bin überzeugt, dass Logistiker mit ihrer ausgeprägten, täglichen Präsenz vor Ort hier eine tragende Rolle spielen können und werden, um Städte intelligenter zu machen. Wir sind dabei, mit mehreren Partnern in der ganzen Schweiz potenzielle Use-Cases zu identifizieren und zu testen. Klar ist: Die Post will diese Entwicklungen mitprägen und Marktführerin bleiben.

Susanne Ruoff

Susanne Ruoff, Jahrgang 1958, leitet die Schweizerische Post seit 2012. Zuvor war sie CEO und Geschäftsleitungsmitglied bei British Telecom und IBM Schweiz, wo sie die Global Technology Services verantwortete. Frühere Verwaltungs- und Stiftungsratsmandate hielt sie unter anderem bei Geberit, Bedaq, der IBM Pensionskasse und im Industrial Advisory Board des Departements Informatik der ETH Zürich. Susanne Ruoff hat einen Abschluss in Ökonomie der Universität Freiburg und einen Executive MBA.


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